Archiv für Sammlung bisherige Neuzugänge

 
 

Grabser Bräuche

 

Episode 7 – „Das Manteln und andere Bräuche“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Der Brauch des Mantelns hielt sich bis in die 60er Jahre. Nahe verwandte Männer trugen bei der Beerdigung auf dem Leichenzug durchs Dorf zur Kirche einen schwarzen Umhang, ähnlich einer Pelerine aus leichtem, schwarzem Stoff.
Es gab zu jener Zeit noch keine Leichenhalle. So wurde die verstorbene Person während drei Tagen im Sarg zu Hause aufgebahrt.
Am Tag der Beerdigung kam der Leichenführer mit seinem schwarzen Leichenwagen, der von einem Pferd gezogen wurde. Die Leute kamen ebenfalls zum Haus. Von dort bewegte sich der Leichenzug in gemächlichem Tempo zum Friedhof. Zuvorderst fuhr der Leichenwagen, an dem die Blumenkränze hingen. Dahinter kamen die Blumenträgerinnen, meist Mädchen im Schulalter. Diese trugen die Blumenschalen und Töpfe, die von Nachbarn, Verwandten und Bekannten geschenkt wurden. Die Blumenträgerinnen erhielten von der Trauerfamilie jeweils ein kleines Geschenk. Hinter den Blumenträgerinnen folgten nun die bemantelten Männer, meist drei oder vier in einer Reihe, dann die weiteren Männer und erst dann die Frauen. Je nach Persönlichkeit gab es so einen recht langen Zug der Menschen, die dem Verstorbenen auf seinem letzten Weg die Ehre erwiesen.
siehe auch „Chircheheiseri“ (interner Link)

Starb ein Elternteil war es Brauch, dass man die Trauerkleidung ein ganzes Jahr lang trug, bei Geschwistern ein halbes Jahr, bei Onkel und Tante waren es drei Monate, bei Grossonkel und Grosstante waren es noch drei Wochen.

Taufe
Die meisten Leute hatten zu jener Zeit noch kein Auto. So ging man mit dem Täufling zu Fuss zur Kirche. Es war Brauch, dass eine Pfuchgotta das Kind im Tragkissen zur Kirche trug. Zu diesem Zweck wurden grössere Schulmädchen angefragt. Erst dort übernahm dann die Gotte den Täufling.
Pfuch bedeutet Pfui. Dem Wort Gotta vorangestellt, würde das auf eine „falsche Gotta“ hinweisen. Daneben aber gibt es „der Pfucher“, was Knirps bedeutet. Damit wäre ein Hinweis auf die kindliche Gestalt der Trägerin gegeben.

Konfirmation
Nach der Konfirmation galt man als erwachsen, nun durfte man auf den Tanz gehen. Meistens war der erste Tanzanlass an Auffahrt im Restaurant Sonnenblick am Gamserberg. Da wanderten die frisch ledigen Grabser und Grabserinnen scharenweise zum Tanzlokal.

Geburtstage, Namenstage, Ostern und Weihnachten waren unsere Festtage.

Gross wurden die Geburtstage nicht gefeiert, es wurde gratuliert und als Geschenk gab es vielleicht mal eine Schokolade, dazu sicher etwas, das gerade gebraucht wurde, z.B. ein Paar Unterhosen oder ein Hemd.

An den Namenstagen wurden wir am Morgen, wenn wir aufstanden, am Hals leicht gewürgt. Die Bedeutung dieses Brauches kenne ich nicht.

An Ostern war für jedes Kind irgendwo im Garten ein Osternestli versteckt. Darin befanden sich ein paar Ostereier und ein Blechosterei, das lauter Zuckereili enthielt. Einmal in der Osterzeit kam Mutters Cousin zu Besuch. Er brachte uns einen riesigen Osterhasen aus Schokolade. So etwas hatten wir noch nie gesehen, das war ein Fest für uns Kinder.

Das Weihnachtsfest wurde voller Spannung erwartet. Was würde das Christkind uns wohl bringen? Welche Wünsche hatten wir? Einen Schirm, eine Badehose, Wollsocken, Finken, Handschuhe, Mütze, Unterwäsche usw. Bei uns kam das Christkind mit dem Christbäumli und den Geschenken über Nacht. So konnten wir den Morgen kaum erwarten, voll Freude und Spannung betraten wir die Stube. In der Ecke am Fenster stand wie immer der hübsch geschmückte Christbaum, an dem nebst bunten Kugeln und Engelhaar auch einige Schoggimäuse hingen. An der Wand zwischen den beiden Fenstern stand der Gabentisch. Darauf lagen und standen alle unsere Geschenke, nicht etwa hübsch eingepackt, nein einfach so.
Von meinem Götti bekam ich jede Weihnachten ein Besteckteil: einen Silberlöffel, später die dazugehörenden Messer, Gabeln und Kaffeelöffeli und zur Konfirmation bekam ich die noch fehlenden Teile.
Von meiner Gotta bekam ich immer etwas „Brauchbares“, einmal einen Schirm, ein anderes Mal waren es Badehosen, weil wir in der Schule im Winter etwa zwei Mal duschen mussten.
Da wurde eingeseift, geschrubbt und gewaschen. Das war sicher nötig, gab es doch in den wenigsten Häusern ein Badezimmer. Es war herrlich unter dem warmen Wasserstrahl!
An Weihnachten vor dem Schuleintritt bekamen wir einen Schultornister, eine Griffelschachtel und Farbstifte. Wenn unsere Gotta oder unser Götti und Familie mit den Geschenken zu Besuch kam, tischte Mutter Weihnachtsguetsli und Rotwein auf. Den Wein holte sie im Konsum, es war meistens Magdalener oder Kalterer.

Am Neujahrstag ging man zu den Nachbarn das Neujahr anwünschen. Da sagten wir: „I wüsche Dir e guets, gsegnets, neus Johr“. Da bekamen wir einen Zehn- oder Zwanzigräppler. Auch den Grosseltern und weiteren Verwandten ging man das Neujahr „aawüsche“. Auch bei diesem Anlass gab es Weihnachtsguetsli und Wein, für uns Kinder Süssmost oder Zuckerwasser.

Nebenverdienst im Alter

 

Episode 6 – „Das Leben im Alter“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Die AHV wurde erst im Jahre 1948 eingeführt. Vielfach wohnten die alten Leute mit ihren Söhnen oder Töchtern und deren Familien zusammen, halfen im Haushalt mit und hatten dafür zu essen und ein Dach über dem Kopf.

Andere mussten wohl von ihrem mühsam Ersparten leben und dazu wenn möglich noch mit irgend einer Arbeit einen Zustupf verdienen.

Da gab es eine Hausiererin, die mit einem alten Kinderwagen von Haus zu Haus ging und Kleinkram wie Schuhbändel, Faden, Nastücher, Kupferplätze usw. verkaufte. Einmal im Jahr kam von Wartau das „Chellefraueli“. Sie trug auf dem Rücken eine Kräze (Rückentragkorb), die behangen und gefüllt war mit verschiedensten Holzkellen.

Im Bürgerheim wohnte ein Mann, der „Chachleflicker“. Ihm konnte man feuerfeste Steingutschüsseln, die im heissen Ofen mal entzwei gingen, zum Flicken bringen. Mit feinem Draht nähte er die Stücke wieder zusammen. Wie er die feinen Löchlein ins Steingut bohrte ist mir unbekannt.

Jeden Samstag machte „s’Chämifeger’s Dres“ mit einer schwer beladenen Kräze auf dem Rücken seine Tour zu den Kunden. Er trug Wurstwaren und Fleisch von der Metzgerei Ochsen aus.

Eine alte Frau verdiente einen 20-Räppler, wenn sie in die Häuser kam um den Tod eines Gemeindemitgliedes zu verkünden. Damals kam die Zeitung nur drei Mal pro Woche. So verrichtete die „Chircheheiseri“ (sie hiess zur Kirche) einen guten Nachrichtendienst. Sie wusste jeweils auch Bescheid über den Verwandtschaftsgrad, und ob die Männer bei der Beerdigung manteln müssen.

Grabs 1954

Grabs 1954

Grabser Milchbüechli

 

Episode 5 – „Milchzahltag“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Bis im Frühling 1954 die Milchzentrale eröffnet wurde, trug unser Vater jeden Vormittag und Abend mit der Tanse auf dem Rücken die Milch zu seinen Kunden im Dorf. Am Abend war die letzte Station im Haus unserer Grossmutter. Im hinteren Hausgang standen drei bis vier Milchkesseli bereit. Es waren die Kannen von Beck Leart (Leonhard), später Schmitter, die Kesseli von „Gäbschä Babä“, von Rose-Helmi und das der Grossmutter.
Unsere Grossmutter hatte in den 50er Jahren schon ein Radio. Da wurden von Jeremias Gotthelf die Hörspiele „Ueli der Knecht“ und „ Ueli der Pächter“ gesendet. An den Hörspielabenden erschien Vater pünktlich, oft war auch Besuch der Milchkunden dabei, die an manchen Abenden mit Grossmutter einen Jass klopften.

auf Milchtour

auf Milchtour

 

Im Jahre 1954 wurde die neue Molkerei Grabs eröffnet, vorher war dort das alte Schulhaus. Von da an musste Vater die Milch nicht mehr auf dem Velo seinen Kunden von Haus zu Haus austragen. Nun wurde die Milch in die Molkerei gebracht. Als wir grösser waren, mussten wir am Abend die Milch auf dem Handwägeli zur Molkerei bringen. Da traf man auch andere Kinder, konnte mit ihnen ein Stück des Weges gemeinsam gehen und noch etwas schwatzen und lustig sein.

Im Laden der Molkerei konnten die Leute die Milch im Offenausschank kaufen. Der Käser stellte aus der Milch aber auch Yoghurt, Butter und Käse her.

Die Ablieferung in der Molkerei war auch für Mutter eine kleine Erleichterung. Nun musste sie die Milchtanse nicht mehr im Brunnen sauber waschen. Man konnte sie sofort nach dem Leeren an der Waschanlage reinigen.

In der Molkerei wurde die Milch gewogen und die Menge in einem Büchlein aufgeschrieben. Jeden Monat wurde dann abgerechnet und es war Zahltag! Auf diesen Tag wartete Mutter oft sehnsüchtig, wenn im Geldsäckel gähnende Leere war.

Grabser Feierabend-Gespräche

 

Episode 4 – „Mit Grossmutter auf dem Heimweg“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Nachdem ihr Mann starb, war Lina tagsüber bei ihrer Tochter und deren Familie. Jeden Abend nach dem Essen wurde sie vom Oberfeld nach Hause ins Oberdorf begleitet. Auf diesem Fussmarsch durch das Dorf gab es manche Gespräche mit Leuten, die nach Feierabend noch draussen waren. Damals gab es noch nicht in jeder Stube ein Radio und schon gar nicht einen Fernseher.

Im Holland stand oft „Òschles Fluri“ am Tenntor. Da wurden einige Worte über das Wetter und den Verlauf der Heu- oder Obsternte gewechselt. Bei der Post und der Kreditanstalt (heute Velohandlung Lindenau) wohnten Kathrina und Tèäbis. Die Themen der Gespräche handelten meistens vom Dorfgeschehen und der Politik.
Der Heimweg ging weiter, an der Milchzentrale vorbei dem Oberdorf entgegen. Manchmal gab es bei „s’Thomäsä“ noch einen Halt. Ueli, Betheli und Chläusli, den sie „dr Bueb“ nannten, waren drei altledige Geschwister. Der Chläusli war häufig schon im Bett, da er ja die ganze Landwirtschaft (2-3 Kühe) allein bewältigte. Ueli war Musiker, anfangs kostete eine Gitarren-Stunde 1.- Fr., später 1.30 Franken. Betheli und Ueli schätzten die abendlichen Besuche, und oft griff Ueli in die Saiten seiner Zither und spielte das bekannte Harry Lime Thema aus dem Film „Der dritte Mann“. Diese zwei alten Leutchen konnten auch wunderbar erzählen und dabei herrlich übertreiben, dass man darüber nur schmunzeln konnte.

Hier ein paar Müsterchen, entnommen aus „Erinnerige as Thomäs“, vom Dachdecker Dres geschrieben:

Es isch en Nebel chuu, digg wie e Wònn, me hät denan bim Mischtzette tägwiis nid gseäh. Me hät Mischtfurgge nid müesse iestegge, sie isch selber gschtònne bi dem Nebel. Un vom Läde uftoä isch ke Red gsi, dr Nòmme häsch chönne iichretzä, soe digg isch dr Flot glegä.

Dr Chläusli hät emol uf dr Alp soe fescht Zòhweäh gkò, dass er drei Täg mus-chleppertoäd i dr Chripp hinn glegä sei.

Ass es eim bim Schtürmä d’Chnöpf vom Schoeppä ewegg rupft, seb weissme, aber d’Sögg zun Schuehne us, seb isch denn gschtürmt. Sisch denn o ruch un chalt worde, d’Chüeh häts tischhoech ufgworfe, soe häns gfrore.

Es sei e dergi Hitz gsi, dass em Betheli ihri Schoess bräselät heg. Un Breme hegs gkò, wie sechswüchegi Färli. Sie hegen dr Chläusli gnu, as es blüetet heg, as wie wemmä e groessi Sau gmetzget het. Jo, abgnaget hensne bis uf d’Chnoche, klepperet hegs, wenn er ummeglaufe sei.

In der Fasnachtszeit hatte Betheli alle Hände voll zu tun. Sie buk Fasnachts-Chüechli. Man brachte ihr die Zutaten: Eier, Mehl, Pferdefett und eine grosse viereckige Zeine, um darin die fertigen Chüechli nach Hause zu holen. Die Beiden verdienten mit ihren Arbeiten das Geld für den bescheidenen Lebensunterhalt.

Gewerbe in Grabs

 

Episode 3 – „Fuhrhalterei und andere Gewerbe in Grabs“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Nach der Sekundarschule lernte Lina Damenschneiderin. Nebenbei half sie zu Hause tüchtig mit. Überall wo ihre Hilfe nötig war, in der Küche oder im Service.

Auch Stephan Vetsch, Jahrgang 1879 aus Grabs, kehrte öfters im Rössli Sax ein. Er fand Gefallen an der fleissigen Lina. Die jungen Leute verliebten sich und heirateten.
In den ersten Jahren arbeitete der junge Ehemann bei seinem Bruder in der Sägerei und Mosterei sowie in der Landwirtschaft. Sein Wunsch war aber das Fuhrwerken.

Er bewarb sich bei der Konsumgenossenschaft Grabs für den Camionagebetrieb. Gemäss Schreiben vom 25. Februar 1910 wurde er auf den 1. März als Camioneur angestellt:

Zusage als Camioneur

Zusage als Camioneur

 

Im November gleichen Jahres konnte er die Liegenschaft im Oberdorf Grabs erwerben. Nun war sein Berufswunsch in Erfüllung gegangen und mit dem eigenen Haus und Stall der Grundstock gelegt für ein blühendes Geschäft. Mit Pferd und Wagen holte er am Bahnhof Buchs die Güter ab und brachte sie an die Bestimmungsorte. Der Konsumverein, Stickereien, Spinnereien, die Reisserei Vetsch an der Sporgasse waren ebenso Kunden wie die Schafwollspinnerei Sturzenegger im Vorderdorf. Auch für die Schuhfabrik waren Güter zu transportieren. Die fertigen Fabrikerzeugnisse wurden wiederum zum Verlad an den Bahnhof Buchs gebracht.

Fuhrmann Stephan Vetsch beim Bahnhof Buchs

Fuhrmann Stephan Vetsch beim Bahnhof Buchs

 

Die gute Schulbildung seiner Frau war von Vorteil. Sie schrieb mit ihrer schwungvollen Schrift mit Federhalter und Tinte die Frachtbriefe. Sie bediente auch das Telefon, einer der ersten Fernsprechapparate in Grabs. Er hing in der Nebenstube, gleich neben der Türe und hatte einen Holzgriff mit einer schwarzen Bakelitsprechmuschel.

Lina besass auch ein Velo, das mit einer Karbidlampe, einem Rücktritt und einer „Pneubremse“ ausgestattet war. Mit ihm war sie in kurzer Zeit vom Oberdorf bei den Geschäften im Dorf, um ihre Einkäufe zu tätigen. Die Bäckerei befand sich gleich über der Strasse. Dort holte sie bei Beck Leart das Brot. Und auf der „Rose“ (auch in nächster Nähe) gab es einen USEGO-Laden, wo die nötigsten Lebensmittel erhältlich waren. Das Fleisch kaufte sie in den Metzgereien „Zwifel Peter“, im Ochsen beim Toni Singer oder im Schäfli. Einen weiteren Spezereiladen war „s’Laager’s“, auch im Oberdorf.

Die Familie wuchs, auch die Fuhrhalterei wuchs und bald standen im Pferdestall bis zu sieben Pferde. Ein Knecht half bei der Arbeit mit. Als der älteste Sohn die Schuljahre beendet hatte, war er als junger Fuhrmann seinem Vater eine grosse Hilfe. Leider verunglückte er mit siebzehn Jahren tödlich.
Der jüngere Sohn half nun tüchtig in der Fuhrhalterei mit. Arbeit war für alle da, das Geschäft blühte, und für die Pferde musste auch Heu herbeigeschafft werden. Später wohnte er mit seiner Frau im Quader, wo sie einen kleinen Mercerie- und Stoffladen führte. So konnte sie etwas zum Zahltag ihres Mannes, der dann in der Schuhfabrik Martin arbeitete, dazu verdienen.

Die Tochter Katharina lernte nach der Schule den Beruf der Herrenschneiderin. Nebenbei verdiente sie sich einige Franken im Service, vor allem im Restaurant Löwen Grabs. Den Servierkurs besuchte sie in Buchs. Im April 1938 heiratete sie Florian Vetsch von der Grenze. Sie erwarben die Liegenschaft im Oberfeld, wo sie eine Landwirtschaft betrieben.

Im Jahre 1947 wurde der Fuhrhaltereibetrieb an Florian Lippuner im Feldgatter übergeben.

Gasthaus Rössli in Sax

 

Episode 2 – „Restaurant Rössli in Sax“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Das Restaurant Rössli stand etwas ausserhalb des Dorfes. So kam es, dass dort oft Fuhrleute Rast machten. Die Pferde wurden an die Haken an der Hauswand angebunden, Wasser wurde ihnen hingestellt und der Hafersack umgebunden, damit die treuen Zugtiere wieder Kraft tanken konnten. Derweil löschten die Fuhrmänner in der Wirtschaft den Durst und tauschten Neuigkeiten aus.

Nebst der Landwirtschaft handelte Linas Vater auch mit Pferden. So reiste er oft nach Ungarn, um gute Pferde zu kaufen, in die Schweiz zu importieren und weiter zu verkaufen.

Jahre später führte die Tochter Katharina das elterliche Restaurant Rössli in Sax. Längere finanzielle Schwierigkeiten trieben sie zu einer Verzweiflungstat. Sie legte Feuer im Wirtshaus. Im gegenüber liegenden Stall fand die Polizei Porzellan und Silberbesteck. So wurde sie als Brandstifterin entlarvt und verurteilt.

Die Grundmauern des Restaurants stehen noch heute. Sie wurden überdacht und als Wagenschopf genutzt.

Gasthaus Rössli mit Urgrosseltern und Grossmutter als Serviertochter

Gasthaus Rössli mit Urgrosseltern und Grossmutter als Serviertochter

Wirtin Katharina Hässig-Bernegger mit Sohn

Wirtin Katharina Hässig-Bernegger mit Sohn

mulmiger Schulweg

 

Episode 1 – „Grossmutters Schuljahre“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Meine Grossmutter Lina war das erste Kind der jungen Eheleute Johannes und Elisabeth Bernegger und wurde 1884 in Sax geboren. Die junge Familie lebte von der Landwirtschaft. Im Jahre 1885 erbauten sie im Farnen Sax ein eigenes Haus und eröffneten dort fünf Jahre später die Gastwirtschaft zum Rössli.

In der Schule

Das Mädchen wuchs heran, besuchte in Sax die Primarschule und kam stets mit guten Zeugnisnoten nach Hause. Daran freute sich ihr Vater besonders und schickte sie wohlweislich in die Sekundarschule. Dies war zu jener Zeit für Mädchen eine Seltenheit. Die waren doch bestimmt zum Heiraten, Haushalten und Kinder erziehen: Also brauchen sie keine höhere Schulbildung war die damalige Volksmeinung. Linas Vater war aber selbst ein kluger, weitsichtiger Mann, also besuchte das Mädchen die Sekundarschule in Frümsen. Den Weg dorthin legte sie täglich zu Fuss zurück. Das Mittagessen konnte sie bei der Base in Frümsen einnehmen.

Der lange Heimweg am späten Nachmittag dauerte in der kalten Jahreszeit oft bis in die Dunkelheit. So geschah folgendes: Es sei schon recht dunkel gewesen. Strassenlaternen gab es nur wenige im Dorf. Ausserhalb der Häuser war es stockdunkel. Das Mädchen war auf dem Heimweg auf der geraden Strecke im Farnen Richtung Rössli. Plötzlich kam ihr eine Gestalt mit einer Sturmlaterne entgegen. Angst stieg in ihr hoch. Sie legte sich unverzüglich einen schwerfälligen Gang zu, sodass die Nagelschuhe in der Kiesstrasse ein Kratzgeräusch erzeugten. Durch diese Töne bekam es aber auch die „Sturmlaterne“ mit der Angst zu tun und machte rechtsumkehrt. Als Lina zu Hause ankam, erzählte sie ihrer Mutter von dieser Beinahe-Begegnung. Da musste die Mutter lachen und gestand, dass sie es war auf der Suche nach ihr.

Kleidung in der Sekundarschule

In der Sekundarklasse waren vier Mädchen und sechzehn Knaben. Die Knaben trugen Hemd und Hosen, darüber einen Kittel. Für den Fototermin gar eine Krawatte und eine Studentenmütze. Die Mädchen trugen lange Röcke, ein hochgeschlossenes, langärmliges Oberteil und darüber eine schwarze Schürze, deren Saum nicht selten mit Spitzen verziert war. Lederschuhe mit genagelten Sohlen war die Fussbekleidung für Buben und Mädchen. Dazu sicher wollene Strümpfe, die wohl mit einem Gummiband an einem „Gstältli“ befestigt waren.

Sekundarschule Frümsen

Sekundarschule Frümsen

ausgewanderte Rheintaler

„Doazmol“ hat diese Woche viele Inserate erhalten, die um die Jahrhundertwende die Auswanderungswilligen bewarben

Leider sind mir keine Texte vorliegend, die die vielen Inserate begleiten könnten, die ich in den diversen Publikationen gefunden habe. Diese versprachen den Interessenten, ihre Auswanderung zu organisieren.
Hat jemand ausgewanderte Verwandte, die von Reise und Ankunft erzählen können oder beschrieben haben, oder liegen gar Reisenotizen vor, würde ich mich freuen, diese hier publizieren zu dürfen.

Eines der Inserate ist hier unten stellvertretend abgebildet, alle anderen Inserate finden sich unter folgendem internen Link: Auswanderung


Begleitworte Artikelserie Grabs

In ihrer Jugend verbrachte Lina Mathis-Vetsch während vielen Jahren die Abende und Nächte bei ihrer Grossmutter in Grabs. An solchen Abenden erzählte die Grossmutter viel aus früheren Zeiten. Um diese Erinnerungen weitergeben zu können, hat Lina Mathis-Vetsch das Büchlein „Erinnerungen an meine Jugend“ geschrieben. Im Vorwort bemerkt sie: „In der heute hochtechnisierten Welt kann man sich ein Leben wie vor fünfzig oder hundert Jahren kaum mehr vorstellen“.

Mit Erlaubnis der Autorin dürfen wir hier auf Doazmol Auszüge aus dem Büchlein publizieren. Der interessante Text und das Fotomaterial wurde deshalb in Episoden unterteilt, wovon die ersten beiden in Sax handeln und die restlichen in Grabs.

Bei Interesse am Büchlein „Erinnerungen an meine Jugend“ können Sie sich über das Kontaktformular an die Autorin wenden, Ihr Mail wird weitergeleitet.

I wüsch dr Glück

 

Episode 17 – „Walz“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugend-erinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Mein Bruder berichtete nach Hause, er hätte für mich eine Stelle als Gärtnerlehrling gefunden. Ich müsse drei Jahre Lehrzeit durchmachen aber kein Lehrgeld bezahlen und hätte Kost und Logis frei. Ich müsste aber sofort antworten und baldmöglichst eintreten. Ich dachte, wenn ich eine gesunde Arbeit im Freien habe und besser und genug zu essen bekomme, bessert sich mein Leiden vielleicht bald. … Im Einverständnis mit den Eltern schrieb ich an Johann, dass ich am nächsten Sonntag mit dem Zug X in St. Gallen eintreffen werde.

Meine „Reisevorbereitungen“ erforderten sehr wenig; die Wäsche und Kleider gaben nur ein Päckli, das ich sehr gut in den Personenwagen neben mir mitnehmen konnte. Der Vater kam mit mir auf die Station und löste „St. Gallen einfach“ sonst konnte er mir nichts geben, als „i wüsch dr Glück“.

Es war ein wunderschöner Sommersonntag und ich hatte ordentlich Stolz, dass ich eine so grosse Reise machen durfte und bewunderte Mal links, das andere Mal rechts, das schöne Rheintal und die vielen Dörfer, deren Namen ich noch aus der Primarschule fast alle wusste. Es kam mir dann aber auch noch in den Sinn, erzählen gehört zu haben, vor Rorschach rufe jeweils der Kondukteur „Rorschach, sitzen bleiben, Zug fährt in Hafen“. Wohl dachte ich, dass es sich um den Bodensee handeln muss, aber ich hatte doch keinen Begriff, wie dieser „Hafen“ aussehen werde.

Die Fahrt dem See entlang versetzte mich in tiefes Staunen.“Jez hani gmont i hei en groassa Sea gsea woni de Werdeberger Sea gsea ha, aber ena ist gad nünt a der ei“ sagte ich für mich selbst.

Plötzlich ertönte es: Rorschach, sitzen bleiben, Zug fährt in Hafen. So nahe dem See entlang, ich meinte fast er müsste hinein fallen. „Rorschach-Hafen, St.Gallen sitzen bleiben. Wie war da ein Gewirr von Leuten. So etwas hatte ich noch nie gesehen, als beim Ausflug der Realschule nach Zürich. Aber der „Hafen“? Einen solchen Hafen hatte ich mir nicht vorgestellt, eine hohe lange Bogenmauer in den See hinaus und innerhalb derselben wimmelte es von „Gondeli“. Aber das Grossartigste waren eben die langen grossen Dampfschiffe. So nahe am Bahnhof! Zwei waren da und jedes hatte einen angeketteten Steg an das Ufer und alles schaukelte zünftig, die Schiffe und Stege, und doch gingen viele Leute über diese Stege und wackelten auch.

Nur noch drei Stationen und wir sind in St. Gallen.

………………

Anno 1896 kam ich durch Vermittlung meines ältesten Bruders nach St. Gallen in eine Gärtnerlehre. Es hätte mir gut gefallen etwas zu lernen, aber ich war körperlich zu schwach und bekam zudem sehr wenig zu essen, so dass ich eher noch schwächer wurde. Auf Reklamation eines früheren Lehrers, der mich zufällig einmal antraf, reklamierte mein Vater beim Lehrmeister und der Lehrvertrag wurde aufgelöst. Ich kehrte wieder heim.

Wir wohnten jetzt in Frümsen. Von hier aus ging ich täglich nach Salez und stickte auf einer 4/4 Handmaschine und verdiente sehr wenig. Am 17. Januar 1897 verliess ich endgültig mein Elternhaus und zog nach Bühler (Appenzell) zu meiner seit einigen Monaten dort verheirateten Schwester Anna.“

Auch hier trat ich in einer kleinen Fabrik als Sticker ein und blieb 6 Wochen. Ich bekam dann eine Stelle als Packer und Ausläufer in der Appretur Abraham Preisig-Sutter. Ich wurde sozusagen im ganzen Betrieb in die Arbeit eingeführt (Appretküche und Saalarbeiten) und erhielt 25 Rappen Stundenlohn = Fr. 2.50 im Tag, ältere Arbeiter hatten 3 Franken. Hier war ich 3/4 Jahre.
Da mein Schwager unterdessen nach Rüdlen-Gossau bei Herisau übersiedelt war, zog es auch mich dorthin, aber schon nach kurzer Zeit wieder zurück nach Bühler. Hier fand ich Arbeit in der Bleicherei Fisch und Preisig, aber diese Arbeit war für mich zu streng und ungesund. Ich erkrankte an Lungenentzündung, nachher konnte ich diese Arbeit nicht mehr ertragen und ging als Wanderbursche auf die Walz und unter vielen Entbehrungen durchwanderte ich einen grossen Teil der Schweiz zu Fuss und etwas ins Deutsche Grossherzogtum. In 26 Tagen von Bühler nach Gossau, Wil SG, Winterthur, Zürich, Zug, Luzern, Bern, Biel, Grenchen, Balsthal, Liestal, Basel, Rheinfelden, Säckingen, Waldshut, Griessen, Schaffhausen, Kreuzlingen, Arbon, St. Gallen, Gossau. Ankunft: Gesund aber ausgehungert.

Dies war die letzte Episode aus dieser interessanten Schrift. Im Originaldokument folgen noch Beschriebe seiner Zeit in St. Gallen und Grund seiner Rückkehr, sowie Betrachtungen zum Beruf des Stickerei-Zeichners. In der Rubrik Bijoux kann das Originaldokument als PDF geladen werden.