Archiv für Sammlung bisherige Neuzugänge

 
 

Brand-Herd

 

Episode 10 – „Brand-Herd“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Aus dem Sticklokal hatten die Eltern einen Teil durch eine Wand abgegrenzt und ein kleines Stübchen gemacht. Von diesem aus war ein Fensterchen gegen die Küche angebracht. Gerade hier war in der Küche der Holzherd gestellt.

Es war wieder einmal an einem schönen Sonntagmorgen, etwa 1888, als die Eltern und meine Geschwister eine kleine Reise unternahmen, und ich musste daheim bleiben bei unserer lieben Milchspenderin Ziege. Ich sorgte gut dafür, dass sie nicht Hunger und Durst leiden musste. Aber ich suchte auch für mich etwas Gutes zu machen. Es war wohl etwa halb zehn Uhr, ich beabsichtigte „Pätsch“ (ist ungefähr Omelette) zu machen.

Also: Ich mache Feuer, tue die Bratpfanne darauf und ordentlich Fett hinein, denn es soll gut werden. Dann nehme ich zwei Eier, ein Beckeli voll Mehl, etwas Salz und eine grosse Kachel und gehe zum Tisch in die Stube mit diesem Zeug und schwinge alles gut untereinander. Den Rücken habe ich gegen das Küchenfenster. Plötzlich sehe ich, dass an der anderen Wand sich immer etwas bewegt, das man nicht halten kann, ein Schatten. Ich kehre mich um und erschrecke grausig, denn in der Küche ist vom Herd gegen die Diele ein hohes Feuer.
So rasch wie nur möglich springe ich hinaus, nehme die brennende Pfanne und werfe sie, ohne zuerst das Fenster zu öffnen, auf die Strasse hinaus. Es kamen gerade eine Schar Leute aus der Kirche. Ich sah, wie sie stutzten, aber es kam niemand zu sehen, was los wäre. Mit meinem Mittagessen war es also nichts, denn ich konnte den Teig nicht kauen und nicht schlucken.

Um vier Uhr liess ich die Ziege wieder los und ging mit ihr nach dem Saxerriet, wo sie sich wieder satt fressen konnte. Aber ungern kehrte ich abends mit ihr Heim – es musste doch etwas meiner warten. Am Abend merkte es noch niemand, aber als am Morgen die Mutter Rösti machen wollte, war die Pfanne ganz durchlöchert und das Fenster zerschlagen. „Was hets do geehn?“ Es fiel mir gar nicht ein, etwas zusammen zu lügen, denn jenes Erlebnis beim Götti vergass ich nicht. Ich erzählte also gerade klipp und klar was geschehen war und wartete darauf, dass der Vater den Gurt abtun und mich über die Knie nehmen werde. Aber nicht das geschah. Der Vater sagte: „Das ist s’Gschidst gsi was hest chönna toan, s’Fenster chamma wieder macha und a Pfanna chamma o wieder choofa, aber wenn s’Hüüsli abbrännt wär, hetend mör en grossa Schade“. Nun war mir wieder wohler und mein Eifer ihm fleissig zu fädeln, wuchs nicht wenig an.“

Reiche Verwandte

 

Episode 9 – „Misslungener Eingriff ins Schicksal“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugend-erinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Es war im Sommer 1886, ein wunderschöner Sonntag, da machten meine Eltern und Geschwister irgend eine kleine Reise. Nur ich, der Erstklässler, musste zu Hause bleiben als „Pfleger“ der Ziege. So lieb mir auch unsere Ziege war, erbitterte es mich doch, dass gerade ich nicht mitgehen durfte. Aber ich hatte ja einen ganzen Tag Zeit genug herauszustudieren, wie ich mein „Los“ verbessern könnte.

In Haag, dem nächsten Dörfchen, hatte ein Bruder meines Vaters ein Heimwesen und war nach unseren Begriffen „sehr reich“, denn er hatte Pferde und etwas Vieh. Wenn wir hie und da dort einen Besuch machen durften, bekamen wir gut zu essen. Da er eine alte Frau hatte, waren sie kinderlos. Sie waren gut mit uns. Er war auch unser Götti. Er hätte immer gerne meine ältere Schwester Anna zu eigen annehmen wollen, aber unsere Eltern gaben sie ihm nicht. Diese Umstände ergaben für mich den „diplomatischen Angriffspunkt“.

Als am frühen Abend die Eltern und Geschwister heim kamen, fragte mein Vater, ob niemand gekommen sei. Die L ü g e: „Woll dr Götti, er het gsoat, wenn er s’Anneli nöd öberchömm, so chönn gad i zonem cho“. Der Vater sagte sofort: „ens ist mir no eher gliich“, packte meine Habseligkeiten zusammen, hiess mich die Schultafel selber tragen, nahm mich an die Hand und führte mich dem Kanal entlang nach Haag. Ich sehe immer noch, wie mein Schwamm an der Tafel hin und her baumelte und wie mein Gewissen immer stärker an meinem armen Herzli pochte. Als wir zum Götti kamen, wäre ich am liebsten in einem Mausloch verkrochen. Es entspann sich ungefähr folgendes: Vater: „Grüezi Andres, i bring der do de Christe“. Götti: „Jo was ist denn do loas?“ Der Vater war baff: „Du hest doch gseit, de Götti sei do gsi und heis gseit“. Götti: „Soa, soa, nei du gang du no wider hei, jez willi di erst recht nöd, en deriga strohlige Lüüger“.
Der Vater wurde recht traurig, nahm mich wieder an die Hand und kehrte mit mir heim. Ich weinte auf dem ganzen Weg und schämte mich grenzenlos. Der Vater sagte mir: „Chomm jez no, du chast denn wieder fädle, aber l ü ü g e tuestmer denn nie mea.“ Er schlug mich nicht, es war mir als würde er meine Hand zärtlicher halten als vorher. Ich glaube, sein Erbarmen war noch grösser als meine Scham und Reue.“

Bettlaub: Wie man sich bettet …

 

Episode 8 – „Bettlaub“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugend-erinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

Wir kannten damals Matratzen nur dem Namen nach. Unser Nachtlager war Buchenlaub in einem Sack. Da die Berggemeinden Sennwald, Frümsen und Sax sehr viel Buchenwaldungen besitzen, konnte man, wenn man von einer dieser Ortsgemeinden Bürger war, in die betreffenden Waldungen Laub sammeln gehen; dies jedoch nur wenn „s’Looba offen war“. Also nur an Tagen, da die Behörde es als erlaubt erklärte.

Als ich etwa 4-5 Jahre zählte, durfte ich eines heftigen Föhntages mit der Mutter und mit Andreas, meinem älteren Bruder, in das Laub nach dem Frümsnerberg. Man konnte an solchen Tagen in gewissen Mulden stubentief angehäuftes Laub antreffen, das vom Föhn zusammengeweht worden war.
Da hatte ich die Aufgabe, die Ästchen und Reiser herauszulesen, während Mutter und Andreas so viel als möglich in Säcke füllten, die so gross waren, dass sie gerade in eine Bettstelle passten.

Am Abend haben Mutter und Bruder diese Säcke zu Tal geschlittelt und mussten den Weg mehrmals machen. Unterdessen hatte ich Befehl, oben bei den gefüllten Säcken zu bleiben. Es wurde aber dunkel und immer dunkler und in dem Gebüsch schien es mir zu rascheln; ich hörte Füchse bellen und in der Nähe fing es an unheimlich zu schreien: —Uuuh, Uuuuh, Uuuuuhuu —. Da war mein Mut zu Ende, ich fürchtete mich sehr.

Ich glaubte den Weg zu Tal sicher zu wissen und verliess die Säcke, um hinunter zu gehen, aber ich verlor die Richtung und verirrte mich in eine tiefe Mulde und hungerte unsäglich. Total ermüdet setzte ich mich auf einen Stein und schlief ein. Die Mutter und der Bruder aber erschraken sehr, als sie, bei ihrer Rückkehr auf dem Berge, mich nicht mehr bei den Säcken fanden. Der Bruder musste ins Tal hinab und eine Laterne entlehnen.
Dann suchten sie mich stundenlang und fanden mich endlich. Ich hatte geschlafen und erwachte vom lauten Schimpfen der Mutter, die mit einer zünftigen Rute auf mich zukam. Wie wäre ich doch gerne geflohen, aber wohin? Wie froh war ich, als die Strafe vorüber war und ich wieder etwas zu essen bekam. Das ist aber trotzdem nicht der einzige dumme Streich geblieben, den ich gemacht hatte.

Das Dorf brennt

 

Episode 7 – „Brand in Rüti-Moos“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

Die folgenden Schuljahre gingen ihren Lauf. Ziegen hüten, Schule gehen, fädeln und seltener irgend eine andere Arbeit. Im Jahre 1890 musste ich jede Woche nach Sennwald zu nahen Verwandten als Fädlerbub gehen und auch „Kindsmagd“ sein. Die Frau war die jüngste Schwester meiner Mutter; sie und ihr Mann hatten viel bösen Streit.

Am Eidg. Bettag 1890 brannte bei heftigem Föhn Rüti-Moos. Als ich dann am Montag nach Sennwald kam, sagte die Tante: „Soa, du chast jez gaad of Rüti ei go dr Frei sueche, er ist am Samstig of Altsteta ei go dr Zahltag hola und ist äll no nöd haa cho. Jez wird’r woll z’Rüti un sii und s’Geld versoffa ha, de Glünggi.“
Ich war barfuss und nur mit Hose und Hemd bekleidet. Das ganze Dorf Rüti lag in dickem Rauch und grossem Unglück. Wenige Meter von verbrannten Häusern sah ich jammernde Frauen mit ihren Kindern in Wiesen unter Bäumen.
Bei den Feuerwehren sah ich auch meinen Vater mit rauchverröteten Augen und ermüdet; sie hatten am Bettag die ganze Nacht und auch noch den langen Morgen gearbeitet.
Den Vetter Frei aber fand ich nicht.

Lokalpatriotismus

 

Episode 6 – „Örtligeischt“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugend-erinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

Es kam leider im Dörfchen der „Örtligeist“ öfters zur Geltung und damit eine gewisse Verachtung.

Das geschah von einem Teil der Mitklässler gegen mich, weil ich eben „nur“ ein Frümsner war und weil ich die Rechnung (siehe Episode 3) richtig und zuerst gelöst hatte. Da wurde ich oft auf dem Heimweg von einer ganzen Rotte umzingelt, gepufft und mit Schimpfnamen beladen.

Als aber ein Mädchen mich herumriss, stellte ich mich mit dem Lineal zur Wehr und traf sie gerade in einen Schranz in der Schürze, der sich dann bis zuunterst verlängerte. Ihr Vater war aber Schulrat und kam am folgenden Tag während der Pause auf den Spielplatz. Ich sah ihn kommen. Ich überlegte rasch; wenn ich fliehe, erwischt er mich ein anderes Mal, ich sag’s lieber rasch dem Lehrer was los ist. Dieser hiess mich: „Bleb da!“ Der Schulrat kam her und wollte mich packen. Der Lehrer stand aber vor mich hin und fragte: „Herr Schulrat, was wollen sie hier?“ „Ebe dem chaibe Schnodere emol e par an Grind ai geh“. Lehrer: „Herr Schuelrot, do hond sie nünt z’toa, im Schuelhus und uf em Spielplatz bin i zueständig und sos niemert. Wenn si meined, si sigid im Recht, muessme das amene andere Ort usmache“.
Damit war die Sache erledigt und meine Liebe zum Lehrer voll.

Wie wäre es doch schön auf der Welt, wenn überall Gerechtigkeit und Schutz vor Gewalt zur Geltung käme. So wurde nun auch der Gang zur Schule für mich erleichtert: Der Lehrer warnte vor weiteren Plagereien und drohte dabei mit dem Lineal.

Tatzen in der Schule

 

Episode 5 – Tatzen in der Schule: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Bis anfangs dritter Klasse war Herr Robert Bühler unser Primarlehrer. Seinen Unterricht genoss ich in vollen Zügen. Für manche Schüler, über welche ein anderer hinweg gegangen wäre, opferte er Geduld und Zeit, um sie, trotz ihrer Beschränktheit, doch noch zum Lesen und Schreiben zu bringen. Aber dennoch mussten Fortgeschrittenere nicht warten. Leider hiess es eines Tages plötzlich, es sei keine Schule mehr, der Lehrer sei fort.

Nach vielen Wochen ging die Schule wieder an. Ein neuer Lehrer kam. Sein Beginn gefiel mir doch gar nicht, er lautete ungefähr: „I bi jez euera Learer, die alt Schlamperei höart jez uf, i will eu jez denn emol ranschiera zum recht toa und lerna“. Der Lehrer blieb noch manche Jahre da. Ich machte bei ihm noch alle Klassen von 3-7 und ein Jahr Ergänzungsschule durch. Von den vielen Eindrücken, die ich da erhielt, erzähle ich lieber nicht viel. Sie trugen mir nicht viel Liebes ein.

Vier „Tatzen“, die ich von ihm auf meine schwachen Fädlerbubenhändchen erhielt, lösten in mir eine grosse Abneigung gegen ihn aus, denn ich war mir nie bewusst, womit ich sie hätte verdient haben sollen. Aber ich kann mich damit abfinden, weil andere Schüler – nicht alle – auch sehr oft körperliche Strafen erhielten, weil sie nicht zu antworten wussten. Vielleicht hat er nicht gewusst, dass man einem Gelehrsamkeit und Weisheit weder durch Hände noch durch die Haare oder den Hintern eingeben kann. In dieser Beziehung war er aber tatsächlich ein sehr geplagter Mann, denn es gab doch immerhin furchtbare Stöcke und Faulenzer, die ihm das Leben verbitterten.

Einmal konnte ich ihm eine grosse Freude machen. Er hatte angeordnet, dass am Morgen gebetet werden müsse und zwar jedes Mal der folgende oder die folgende und immer müsse es wieder ein anderes Gebet und niemals das „Unser Vater“ sein. Das gab Kopfzerbrechen.
Als ich an die Reihe kam, betete ich: „Vater im Himmel, wir rufen dich an, lehre uns wandeln die richtige Bahn. Lass uns erkennen was wahr ist und gut, gib es zu üben uns freudigen Muts. Eltern und Lehrer mit lobendem Sinn, führen zur Tugend zur Wahrheit uns hin. Segne, o Vater, ihr treues Bemühn. Amen.“ – Der Lehrer stand noch eine Weile mit gefalteten Händen mit rotem, gesenktem Kopf da.
Dann schaute er mich so lieb an, wie noch nie, kam zu mir her und fragte: „Tinner, woher hast du das?“ „Jo, das hani scho chönna vor i ha mösa i d’Schuel. S’Anneli und dr Andres hond das mösa lerna und do hanis halt o chönna“.
„So“, sagte er, „das Gebet muest du mir ufschriibe“ und zu den Schülern der 4.-7. Klasse „das müessender usswendig lerna, das ist s’best Schuelgebet“. Das hatte ich natürlich nicht beabsichtigt und es trug mir den Zorn vieler Mitschüler ein.
Durchgeführt wurde der Befehl nicht, gute Vorsätze blieben ja vo jeher meistens nicht ausgeführt.“

Oberriet retour als Schwarzfahrer

 

Episode 4 – Der kleine Fahrgast: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Etwa von 1889 an, da ich ein ganz kleiner Bube war, musste ich fast jede Woche mit fertigen „Sticketen“ zu unserem Fabrikant Walt nach Eichberg gehen und wieder neue Aufträge holen. Der Sack auf meinem Rücken war gewöhnlich fast so gross und so schwer wie ich selbst. Ich ging zwar meistens gerne, denn ich konnte jeweilen mit der Bahn fahren. Man schickte mich, weil ich um die halbe Taxe fahren konnte. Das war zwar nicht ganz in Ordnung, denn von 1890 an hätte ich als Zehnjähriger die ganze Taxe zahlen müssen. Aber der Vater sagte mir, wenn ich gefragt werde wie alt ich sei, solle ich nur sagen „nüni g’si“. So wurde es auch wohl etwa 4-5 Jahre gemacht und ich bin in jener Zeit auch kaum etwas gewachsen.

Der Stationsvorstand kannte mich wohl, aber er wusste auch, dass wir arme Leute waren und drückte ein Auge zu. Einmal stand gerade ein grosser, dicker Herr bei ihm, als ich mein Billet bestellte: „Oberriet retour“. Der Vorstand war auch sehr korpulent und fragte mich: „Ja, wie alt bist du?“ „Nüni g’si“. Die beiden blinzelten einander lächelnd an. Ich war damals etwa 13 Jahre alt und hatte es schon gespannt, dass sie sich ein wenig belustigen wollten. Dann lächelte aber auch ich und sagte: „Es ist aber o nöd i dr Ornig, dass me dr Pris noch am Alter asetzt, es sött nochem Gwicht goo“. Bravo rief der Vorstand und beide schauten mich lieb an und lachten herzlich.

Einmal hatte ich meine Handschuhe einfach nicht mehr und wusste gar nicht, wo ich sie vergessen oder verloren habe. Als ich wieder mein Billet lösen kam, fragte der Vorstand ob ich nichts zu wenig hätte. „Jo woll d’Hendscha“. „Lueg do sinds“ und gab sie mir. „Die sind jetzt d’Sangalle inne gsi. De Kundigtör heds bhönnt und hed gseit die ghörend em seba chlina Büebli wo allemol vo Salez of Oberriet abi fahrt.“ Ich war sehr froh, dankte und sagte noch dazu: „I wött i wär o drbi gsi“.

Diese Fahrten waren mir ein Vergnügen. Aber der Marsch durch das breite Tal nach Eichberg, den schweren Sack auf dem Buckel, war schon das Gegenteil. Besonders schlimm war es im Winter. Ich war zudem immer schlecht gekleidet: Zwilchhosa, e Hempli, e Brosttüechli und en Tschoppa, e glismeti Zipfelchappa zom über s’Gsicht abe stropfa as no no s’Mul und d’Schnodernasa usa glueget hond. Strümpf und Schue vo dr Muetter.
Wenn es Pflutsch hatte, war ich jeweilen sehr schlimm dran. Einmal als ich ganz durchnässte Strümpfe und Schuhe hatte und fror und gar sehr hungerte, wagte ich es bei meiner Rückkehr in Oberriet in jene Wirtschaft beim Bahnhof hinein zu gehen, um ein Bürli für fünf Rappen zu kaufen. Der Stationsvorstand von Oberriet sass als alleiniger Gast am runden Tisch. Der kannte mich vom vielen Sehen und sagte: „Lueget jez chunt s’Salezer Büebli“. Die kleine dicke Wirtin kam herbei und fragte recht freundlich was ich wünsche. „E Pürli“ und der Vorstand sagte „jo Büebli do muest no lang warte, sitz du no e chli ab“ und zur Wirtin „gend ihm do e Gläsli Wii dass er cha verwarme, magst?“ „Jo gern, i danke vielmol“. Die Wirtin hiess mich Schuh und Strümpf ausziehen, sie wolle sie trocknen und gab mir Finken, um die Füsse zu erwärmen. Sie sagte dann auch noch, wenn ich jeweilen lang warten müsse und friere, solle ich nur herein kommen, ich müsse nichts bestellen und zahlen, für e soa Büebli habe sie schon Platz genug.

Der Fädler-Bub brilliert in der Schule

 

Episode 3 – Der erste Schultag: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Mein Vater hatte also eine 6/4 Handstickmaschine. Schifflistickmaschinen gab es damals noch nicht. Wie meine älteren Geschwister musste auch ich fädeln lernen und brachte es schon im Alter von 4 Jahren auf eine ordentliche Fertigkeit. ….. Wir Geschwister fädelten also, man könnte sagen, fast um die Wette. Ganz besonders meine um 5 Jahre ältere Schwester Anna war sehr froh um meine Mithilfe, während der älteste Bruder Johann sehr oft schon als Schulknabe auf der Stickmaschine stickte „wie ein Grosser“. Der Vater war eben oft abwesend als Spengler arbeitend und brachte über seinen eigenen Unterhalt hinaus wenig für uns auf.
Nach mir kamen noch mehrere Geschwisterchen, von denen nur das anno 1885 geborene Mädchen Ursula „davon kam“, während vier oder fünf tot zur Welt kamen oder nur wenige Stunden lebten. Es geht daraus hervor, dass eben die Mutter oft „krank“ war, so dass Anna das Hausmütterchen zu spielen hatte. Sie war, trotz aller Not, ein ausserordentlich gesundes, starkes Mädchen und liebte Ordnung und Reinlichkeit in überaus mustergültiger Weise. Sie wusch und „strählte“ uns Buben und stellt uns auch auf robuste Art „in den Senkel“. Das gab manches „Familienfest“.

Mein erster Schultag im Mai 1886 bleibt mir noch im Gedächtnis. Von 1-4 Uhr war Schule für die ersten 4 Klassen. Wir waren also tief „beschäftigt“ mit Bölleli und Strichli machen. Ich hörte allerdings mit Interesse auch den älteren Schülern zu. Die vierte Klasse hatte gerade Kopfrechnen. Da war ein grosser Hans dabei, den der Lehrer fragte: „Hans, was ist 17 und 17?“ In weinerlicher Stimmung erfolgte zuerst „17 und 17 = 17“, dann noch weinerlicher „17 und 17 = 7“. „Dumms Züüg!“ war die Antwort des Lehrers.
Ich rief mit meinem dünnen Stimmchen laut „17 und 17 = 34“. Der Lehrer sprang vor: „Wer het do grüeft“. Alle Erstklässler zeigten auf den Fehlbaren. „So du? Chomm emol do füra“. Mir ward Angst. Der Lehrer stellte mich auf seinen Stuhl und rief: „Hans chomm au do füra“. Dann sagte der Lehrer: „So Christeli sägs jez em Hans lut i d’Ohre’n ina“. Ich sagte es laut. Nachher fragte mich der Lehrer „Wieso weisst du das?“ „Jo, i moss halt fädla, en Topf het 17 Nodla, zwe Töpf hond 34, drei Töpf onaföfzg Nodla, i woass no mea.“
Der Lehrer lachte nicht, er machte ein ernstes Gesicht, gab mir einen „Föfer“ und sagte: „So, so, du bist au so en’arms Fädlerbüebli“.

Einsturz der Brücke in Salez

 

Episode 2 – Als die Brücke zwischen Salez und Haag auf ihre Tragfähigkeit getestet wurde: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Selbstredend mussten über den (neu erbauten Werdenberger Binnen-)Kanal auch Brücken erstellt werden, die dann auf ihre Tragkraft geprüft wurden. So erinnere ich mich noch lebhaft an die Prüfung der Kanalbrücke zwischen Salez und Haag, die etwa 500 m von Vaters Häuschen weg war. Der ersehnte Tag war da. Viele, viele Kiesfuhrwerke fuhren heran. Sie wurden mitten in die Brücke gestellt, die ganze Breite und Länge besetzt. Der etwa 12-15 m breite Kanal führte mehr als metertief scharf fliessendes Wasser. Schwarz befrackte Herren kletterten ausserhalb an den eisernen Brückenbalken herum und massen und massen.

Was sehe ich? Ich werde gewahr, dass in der Mitte der Brücke erst ganz langsam die Kiesfuder sich zu bewegen beginnen, dass ganz langsam sich die Brücke senkt, die äusseren Wagen fangen auch an, sich zu bewegen, die inneren schneller, von beiden Seiten her fahren sie in die Mitte und übereinander, die Brücke bricht. Die dicken eisernen Balken sind gekrümt wie „Türggebengel“ und ragen ins Wasser hinunter. Dort unten sehe ich einen Herrn, der halb im Wasser hängt, eingezwängt ist zwischen Eisenbalken, die Kanalwellen spielen lustig mit den Flügeln seines Frackes, er aber ruft um Hilfe. Man weiss nicht in welchem Augenblick sich die Wagen weiter in Bewegung setzen könnten und so ist gewiss zu sagen, dass es beherzte Männer waren, welche den Verletzten aus der Situation retteten.

Einige Minuten später sah ich einen Trupp Männer, darunter auch mein Vater, welche einen befrackten Herrn umringten, packten und in den Kanal hinein zu werfen drohten. Das war der für den Brückenbau verantwortliche Ingenieur, Herr Wey. Die Sache bekam ein gerichtliches Nachspiel, dessen Verlauf und Ergebnis mir nicht bekannt ist.

Mich interessierte mehr, dass wir dann nachher auf der Abbruchstelle Eisennieten suchen und um einige Rappen abgeben konnten.“

Die italienische Köchin beim Bau des Binnenkanals

 

Episode 1 – Die italienische Marie beim Bau des Binnenkanals: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Als wir in Salez wohnten und ich kaum 2-3 Jahre alt gewesen sein musste, ist der Werdenberger Binnenkanal gegraben worden. Unser Häuschen stand wenige hundert Meter von demselben entfernt. Die „Rucharbeiten“ wurden damals, und es blieb so noch viele Jahre, meistens von Italienern ausgeführt, weil die schweizerische Arbeiterschaft den Verdienst in den Industrien vorzog.
So waren also auch für die Kanalarbeiten fast ausschliesslich Italiener und Südtiroler da. Sie bewohnten eine grosse Holzbaracke und führten gemeinsame Küche, die ihnen von einer jungen, sehr schönen, schwarzkrausigen, rotbackigen Marie besorgt wurde. Bei dieser Marie hielt ich mich damals die meisten Tagesstunden auf.

Ich konnte ihr manches Dienstlein tun und auch etwa für sie leichtere Botendienste verrichten. Von ihr bekam ich manchen guten Bissen: Polenta, Maccaroni und Minestra. Deutsch sprach und verstand sie wenig und ich und sie verkehrten miteinander „italienisch“ was und so viel ich als 2-3 jähriges Büblein eben von ihr lernte. Meinem Vater machte es oft grossen Spass, wenn er uns zwei „parlen“ hörte.

Jene Marie hatte ich lieb wie man die Mutter liebt. Es sind jetzt seither viele Jahre verstrichen. Ich habe nie mehr etwas von ihr gehört. Möge der liebe „Himmeldätti“, wie ich damals sagte, ihr die ewige Liebe gegeben haben.“