Tatzen in der Schule

 

Episode 5 – Tatzen in der Schule: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Bis anfangs dritter Klasse war Herr Robert Bühler unser Primarlehrer. Seinen Unterricht genoss ich in vollen Zügen. Für manche Schüler, über welche ein anderer hinweg gegangen wäre, opferte er Geduld und Zeit, um sie, trotz ihrer Beschränktheit, doch noch zum Lesen und Schreiben zu bringen. Aber dennoch mussten Fortgeschrittenere nicht warten. Leider hiess es eines Tages plötzlich, es sei keine Schule mehr, der Lehrer sei fort.

Nach vielen Wochen ging die Schule wieder an. Ein neuer Lehrer kam. Sein Beginn gefiel mir doch gar nicht, er lautete ungefähr: „I bi jez euera Learer, die alt Schlamperei höart jez uf, i will eu jez denn emol ranschiera zum recht toa und lerna“. Der Lehrer blieb noch manche Jahre da. Ich machte bei ihm noch alle Klassen von 3-7 und ein Jahr Ergänzungsschule durch. Von den vielen Eindrücken, die ich da erhielt, erzähle ich lieber nicht viel. Sie trugen mir nicht viel Liebes ein.

Vier „Tatzen“, die ich von ihm auf meine schwachen Fädlerbubenhändchen erhielt, lösten in mir eine grosse Abneigung gegen ihn aus, denn ich war mir nie bewusst, womit ich sie hätte verdient haben sollen. Aber ich kann mich damit abfinden, weil andere Schüler – nicht alle – auch sehr oft körperliche Strafen erhielten, weil sie nicht zu antworten wussten. Vielleicht hat er nicht gewusst, dass man einem Gelehrsamkeit und Weisheit weder durch Hände noch durch die Haare oder den Hintern eingeben kann. In dieser Beziehung war er aber tatsächlich ein sehr geplagter Mann, denn es gab doch immerhin furchtbare Stöcke und Faulenzer, die ihm das Leben verbitterten.

Einmal konnte ich ihm eine grosse Freude machen. Er hatte angeordnet, dass am Morgen gebetet werden müsse und zwar jedes Mal der folgende oder die folgende und immer müsse es wieder ein anderes Gebet und niemals das „Unser Vater“ sein. Das gab Kopfzerbrechen.
Als ich an die Reihe kam, betete ich: „Vater im Himmel, wir rufen dich an, lehre uns wandeln die richtige Bahn. Lass uns erkennen was wahr ist und gut, gib es zu üben uns freudigen Muts. Eltern und Lehrer mit lobendem Sinn, führen zur Tugend zur Wahrheit uns hin. Segne, o Vater, ihr treues Bemühn. Amen.“ – Der Lehrer stand noch eine Weile mit gefalteten Händen mit rotem, gesenktem Kopf da.
Dann schaute er mich so lieb an, wie noch nie, kam zu mir her und fragte: „Tinner, woher hast du das?“ „Jo, das hani scho chönna vor i ha mösa i d’Schuel. S’Anneli und dr Andres hond das mösa lerna und do hanis halt o chönna“.
„So“, sagte er, „das Gebet muest du mir ufschriibe“ und zu den Schülern der 4.-7. Klasse „das müessender usswendig lerna, das ist s’best Schuelgebet“. Das hatte ich natürlich nicht beabsichtigt und es trug mir den Zorn vieler Mitschüler ein.
Durchgeführt wurde der Befehl nicht, gute Vorsätze blieben ja vo jeher meistens nicht ausgeführt.“

Einsturz der Brücke in Salez

 

Episode 2 – Als die Brücke zwischen Salez und Haag auf ihre Tragfähigkeit getestet wurde: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Selbstredend mussten über den (neu erbauten Werdenberger Binnen-)Kanal auch Brücken erstellt werden, die dann auf ihre Tragkraft geprüft wurden. So erinnere ich mich noch lebhaft an die Prüfung der Kanalbrücke zwischen Salez und Haag, die etwa 500 m von Vaters Häuschen weg war. Der ersehnte Tag war da. Viele, viele Kiesfuhrwerke fuhren heran. Sie wurden mitten in die Brücke gestellt, die ganze Breite und Länge besetzt. Der etwa 12-15 m breite Kanal führte mehr als metertief scharf fliessendes Wasser. Schwarz befrackte Herren kletterten ausserhalb an den eisernen Brückenbalken herum und massen und massen.

Was sehe ich? Ich werde gewahr, dass in der Mitte der Brücke erst ganz langsam die Kiesfuder sich zu bewegen beginnen, dass ganz langsam sich die Brücke senkt, die äusseren Wagen fangen auch an, sich zu bewegen, die inneren schneller, von beiden Seiten her fahren sie in die Mitte und übereinander, die Brücke bricht. Die dicken eisernen Balken sind gekrümt wie „Türggebengel“ und ragen ins Wasser hinunter. Dort unten sehe ich einen Herrn, der halb im Wasser hängt, eingezwängt ist zwischen Eisenbalken, die Kanalwellen spielen lustig mit den Flügeln seines Frackes, er aber ruft um Hilfe. Man weiss nicht in welchem Augenblick sich die Wagen weiter in Bewegung setzen könnten und so ist gewiss zu sagen, dass es beherzte Männer waren, welche den Verletzten aus der Situation retteten.

Einige Minuten später sah ich einen Trupp Männer, darunter auch mein Vater, welche einen befrackten Herrn umringten, packten und in den Kanal hinein zu werfen drohten. Das war der für den Brückenbau verantwortliche Ingenieur, Herr Wey. Die Sache bekam ein gerichtliches Nachspiel, dessen Verlauf und Ergebnis mir nicht bekannt ist.

Mich interessierte mehr, dass wir dann nachher auf der Abbruchstelle Eisennieten suchen und um einige Rappen abgeben konnten.“

Die italienische Köchin beim Bau des Binnenkanals

 

Episode 1 – Die italienische Marie beim Bau des Binnenkanals: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Als wir in Salez wohnten und ich kaum 2-3 Jahre alt gewesen sein musste, ist der Werdenberger Binnenkanal gegraben worden. Unser Häuschen stand wenige hundert Meter von demselben entfernt. Die „Rucharbeiten“ wurden damals, und es blieb so noch viele Jahre, meistens von Italienern ausgeführt, weil die schweizerische Arbeiterschaft den Verdienst in den Industrien vorzog.
So waren also auch für die Kanalarbeiten fast ausschliesslich Italiener und Südtiroler da. Sie bewohnten eine grosse Holzbaracke und führten gemeinsame Küche, die ihnen von einer jungen, sehr schönen, schwarzkrausigen, rotbackigen Marie besorgt wurde. Bei dieser Marie hielt ich mich damals die meisten Tagesstunden auf.

Ich konnte ihr manches Dienstlein tun und auch etwa für sie leichtere Botendienste verrichten. Von ihr bekam ich manchen guten Bissen: Polenta, Maccaroni und Minestra. Deutsch sprach und verstand sie wenig und ich und sie verkehrten miteinander „italienisch“ was und so viel ich als 2-3 jähriges Büblein eben von ihr lernte. Meinem Vater machte es oft grossen Spass, wenn er uns zwei „parlen“ hörte.

Jene Marie hatte ich lieb wie man die Mutter liebt. Es sind jetzt seither viele Jahre verstrichen. Ich habe nie mehr etwas von ihr gehört. Möge der liebe „Himmeldätti“, wie ich damals sagte, ihr die ewige Liebe gegeben haben.“

Rubrik Neuzugänge

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