Tätowierte Weiber

Anlässlich der Recherche zu Doazmol Band 6 über die Berggänger damals im Alpstein entdeckten wir in den historischen Reisebeschrieben einige Passagen zu den Regionen im Rheintal. Eine weitere Kostprobe:
(Textauszug gefunden in „Schilderung des Gebirgsvolkes“. Johann Gottfried Ebel, Pet. Phil. Wolfische Buchhandlung, Leipzig 1802)

„Mit dem engen Pass Hirzensprung hören die zerbrochenen Felsenhügel auf, und hier tritt man wieder in das flache breite Thal. Dieser ganze Distrikt von Haard bis hinter dem Dorfe Rüti ist der grösste, aber der unfruchtbarste des ganzen Rheintals; Buchwaldungen bedecken die Bergseiten und grosse Weiden die Thalfläche am Rhein.
Viele Weiber, welche ich in diesem Grenzbezirk sah, hatten auf dem linken Arm schwarze Zeichnungen, welche meistens ein Kreuz und Kleeblatt vorstellen. Der Griffel, womit sie gemacht werden, ist eine Nadel; das beliebige Zeichen wird hiermit in die Haut eingestochen und dann mit Schiesspulver tüchtig gerieben, welches aus jedem blutigen Nadelstich einen schwarzen Punkt bildet, der nie wieder verlischt.
Diese Sitte ist erst nach der Reformation entstanden und hat seinen Ursprung nicht in einer indianischen Verzierungsliebe des Körpers, sondern lediglich in dem mönchischen Geist des unduldsamen Papism, welcher jedes Glied der allein seligmachenden Kirche selbst nach dem Tode an einem körperlichen Zeichen erkennen und von den Ketzern unterscheiden wollte. Die Einwohner des Oberrieder Bezirks sind meistens katholisch.“

“Damals im Alpstein” (Doazmol Band 6) erscheint Ende Juni 2015 und kann bereits jetzt gerne vorbestellt werden. Der hier präsentierte Text ist nicht im Buch enthalten.

Oberriet retour als Schwarzfahrer

 

Episode 4 – Der kleine Fahrgast: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Etwa von 1889 an, da ich ein ganz kleiner Bube war, musste ich fast jede Woche mit fertigen „Sticketen“ zu unserem Fabrikant Walt nach Eichberg gehen und wieder neue Aufträge holen. Der Sack auf meinem Rücken war gewöhnlich fast so gross und so schwer wie ich selbst. Ich ging zwar meistens gerne, denn ich konnte jeweilen mit der Bahn fahren. Man schickte mich, weil ich um die halbe Taxe fahren konnte. Das war zwar nicht ganz in Ordnung, denn von 1890 an hätte ich als Zehnjähriger die ganze Taxe zahlen müssen. Aber der Vater sagte mir, wenn ich gefragt werde wie alt ich sei, solle ich nur sagen „nüni g’si“. So wurde es auch wohl etwa 4-5 Jahre gemacht und ich bin in jener Zeit auch kaum etwas gewachsen.

Der Stationsvorstand kannte mich wohl, aber er wusste auch, dass wir arme Leute waren und drückte ein Auge zu. Einmal stand gerade ein grosser, dicker Herr bei ihm, als ich mein Billet bestellte: „Oberriet retour“. Der Vorstand war auch sehr korpulent und fragte mich: „Ja, wie alt bist du?“ „Nüni g’si“. Die beiden blinzelten einander lächelnd an. Ich war damals etwa 13 Jahre alt und hatte es schon gespannt, dass sie sich ein wenig belustigen wollten. Dann lächelte aber auch ich und sagte: „Es ist aber o nöd i dr Ornig, dass me dr Pris noch am Alter asetzt, es sött nochem Gwicht goo“. Bravo rief der Vorstand und beide schauten mich lieb an und lachten herzlich.

Einmal hatte ich meine Handschuhe einfach nicht mehr und wusste gar nicht, wo ich sie vergessen oder verloren habe. Als ich wieder mein Billet lösen kam, fragte der Vorstand ob ich nichts zu wenig hätte. „Jo woll d’Hendscha“. „Lueg do sinds“ und gab sie mir. „Die sind jetzt d’Sangalle inne gsi. De Kundigtör heds bhönnt und hed gseit die ghörend em seba chlina Büebli wo allemol vo Salez of Oberriet abi fahrt.“ Ich war sehr froh, dankte und sagte noch dazu: „I wött i wär o drbi gsi“.

Diese Fahrten waren mir ein Vergnügen. Aber der Marsch durch das breite Tal nach Eichberg, den schweren Sack auf dem Buckel, war schon das Gegenteil. Besonders schlimm war es im Winter. Ich war zudem immer schlecht gekleidet: Zwilchhosa, e Hempli, e Brosttüechli und en Tschoppa, e glismeti Zipfelchappa zom über s’Gsicht abe stropfa as no no s’Mul und d’Schnodernasa usa glueget hond. Strümpf und Schue vo dr Muetter.
Wenn es Pflutsch hatte, war ich jeweilen sehr schlimm dran. Einmal als ich ganz durchnässte Strümpfe und Schuhe hatte und fror und gar sehr hungerte, wagte ich es bei meiner Rückkehr in Oberriet in jene Wirtschaft beim Bahnhof hinein zu gehen, um ein Bürli für fünf Rappen zu kaufen. Der Stationsvorstand von Oberriet sass als alleiniger Gast am runden Tisch. Der kannte mich vom vielen Sehen und sagte: „Lueget jez chunt s’Salezer Büebli“. Die kleine dicke Wirtin kam herbei und fragte recht freundlich was ich wünsche. „E Pürli“ und der Vorstand sagte „jo Büebli do muest no lang warte, sitz du no e chli ab“ und zur Wirtin „gend ihm do e Gläsli Wii dass er cha verwarme, magst?“ „Jo gern, i danke vielmol“. Die Wirtin hiess mich Schuh und Strümpf ausziehen, sie wolle sie trocknen und gab mir Finken, um die Füsse zu erwärmen. Sie sagte dann auch noch, wenn ich jeweilen lang warten müsse und friere, solle ich nur herein kommen, ich müsse nichts bestellen und zahlen, für e soa Büebli habe sie schon Platz genug.