Die Werdenberger sind ein eigenes Völkchen
Episode 15 – „Der neue Lehrer“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugend-erinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)
„Jetzt war leider wieder Ferienzeit. Ich wusste schon was das für mich heisst: Fädeln! Aber es war damals gerade die „Fädlermaschine“ von Saurer Arbon erfunden und in Gebrauch gekommen, der Vater hatte eine solche gepachtet. So war also auch für mich eine Erleichterung eingetreten, mit der Maschine ging es leichter als von Hand. Allein mein Sehnen ging nach der Schule.
Endlich heiss es: Montag Morgen, Beginn der Realschule Frümsen. Der neue Lehrer war von St. Gallen und kurz vorher noch Kantonsschüler, also „neu“. Während der bisherige Lehrer von uns die Antworten schriftdeutsch verlangte, forderte der neue Lehrer Dialekt, was vielen sehr bequem war. Beim alten Lehrer hatten wir im Sommer bei schönem Wetter anstatt Geometrie „Feldmessen“. Einer fasste den Zeichnungstisch, einer die Kreuzscheibe, zwei trugen die Masslatten und mehrere hatten „Jalons“ zu tragen und der Rest blieb leer. Wir wurden in Zweiergruppen aufgestellt und hatten durch das Dorf in geordnetem Marschschritt zu gehen. Ausser Ort durften wir in Gruppen gehen nach Belieben und auch miteinander plaudern.
Beim neuen Lehrer hatten wir schon am dritten Tag Feldmessen und hielten es auch so. Ein Mitschüler gab mir einen Apfel, den ich dann beim Freimarsch essen wollte und auch mit einem Mitschüler plauderte und lachte wie die anderen, aber nichts Böses. Da kam plötzlich der Lehrer, zog mich am Haar und sagte: „Selwia, verworg nöd no a sebem gstohlna Öpfel du choga Gigeri“. Diese Sprache hat mich sehr verletzt und wütend warf ich ihm den Apfel hart an der Nase vorbei und sagte sehr laut: „I hane nöd gstohle“.
Ein Intermezzo gab es einmal beim schriftlichen Rechnen. Er diktierte eine Aufgabe, die ungefähr so lauten mochte: 1 kg Hafer kostet 13 Rp. Ein Landwirt füttert sein Pferd täglich mit 17 kg vom 11. April bis 23. Oktober. Wie viel Hafer frisst das Pferd in dieser Zeit und was kostet er. Dann machte er noch die Bemerkung „Jo, d’Werdeberger gend zwor de Ross nöd so viel Haber“. Päng! Ein Mitschüler hatte heftig ein schweres Buch auf den Pult getätscht. „Was isch do?“ fragte der Lehrer. Der Schüler war bei weitem nicht der Gescheiteste, aber er gab zur Antwort: „Ens got Eu denggi nüt aa, wieviel Haber as mör de Rosse gend. Mör lond üs das nöd sääge“.
… Es mag sein, dass ihm irgend jemand gesagt hatte, die Oberländer seien halt harte Leute, da müsse man grob dahinter. Aber das wäre Irrtum.
Es rückte endlich das Examen heran. Dass ich die 3. Klasse nun nicht mehr besuchen konnte, war mir nicht so herb, als wenn noch der frühere Lehrer da gewesen wäre.