De Chuttle-Fuchs

(Erster Teil der vierteiligen Artikelserie zum Thema Verkehrswege)

Anlässlich der letztjährigen Sammlung von „Frauengeschichten“ wurden auch Erinnerungen über die damaligen Männer erzählt. Folgende zwei Anekdoten hier als Einstieg zum Thema Strassenverkehr:

„Der Chuttle-Fuchs arbeitete in jungen Jahren für die Metzgerei in Sennwald, daher wohl sein Übername. Später war er Ausläufer von Beck Berger in Salez, weshalb ihn die einen auch Büürli-Fuchs nannten.“ „Jeden Tag ging der Chuttle-Fuchs mit Brot auf seinem Handwagen in ein anderes Dorf unserer Gemeinde. Auf dem Brückenwägeli hatte er eine grosse Zaine mit dem Brot und einer Decke darüber. Er ging sogar zu Fuss wegen einem Brötli in die Cholgrueb hinauf in Sennwald, den Wagen liess er jeweils unten beim Schäfli stehen. Er machte dies jahrelang, immer zu Fuss.

Der Bärenlöchler [aus Salez] hatte eine Buurerei und besass ein bhäbigs schweres Pferd. Dieses Pferd konnte man nicht aus der Ruhe bringen. Der Bärenlöchler hatte die Angewohnheit, auf dem Wagen einzuschlafen. Beim Mädli machen schlief er oft ein, das Ross lief einfach weiter. Und wenn es dem Ross dann verleidete, lief es auf die Strasse raus, um nach Hause zu gehen und der Fuhrmann erwachte wieder. Autos gab’s ja damals selten und waren somit keine Gefahr.

Der Chuttle-Fuchs lieferte auch Brot ins Restaurant Bad Forstegg. Er stellte den Handwagen dort nicht etwa auf den Parkplatz, sondern liess ihn einfach am rechten Strassenrand stehen. Da kam eben einmal der Bärenlöchler schlafend mit Ross und Wagen daher, das Ross lief brav am rechten Strassenrand. Da der Wagen breiter war als das Ross, stiess dieser mit dem vorderen rechten Eck in das Brotwägeli, welches umkippte. Das Brot fiel aus der Kiste heraus und rollte über die Strasse. Ein Brötchen wurde unter dem Wagen zerquetscht. Es wurde dann so geregelt, dass das Handwägeli aufgestellt und das Brot wieder eingesammelt wurde und der Bärenlöchler das zerquetschte Brot bezahlte und dem Ross zu fressen gab.“

„Mir Haager Buebe hend denn de Chuttle-Fuchs o plaaget: Wenn er mit sim Charre cho ischt, het er en grad bi üüs hergstellt und isch s‘Brot go verteile. Denn hommer em en Stecke bi de Rad i d‘Speiche toa. Denn isch er wieder cho und isch driighanget i de Wage, und wo denn de Stecke a de Brugg aagstande isch, so dass s‘Rad no het chönne drehe, denn isch denn wieder loosgange. Mir hend denn hinderem Stall g‘loset wie‘n er stalliert.“

Der Reichtum der Mundart

(Auszug aus dem Appenzeller Kalender Ausgabe 1907, Titel „Üseri Puuresprooch“, Autor Dr. J. Vetsch, Redaktor am schweizerischen Idiotikon)

Die vielen Fremden, die alljährlich unser schönes Schweizerland besuchen, sind erstaunt über die ehrenvolle Stellung, die bei uns die Mundart einnimmt. Während sie andernorts nur noch im Verkehre der unteren Stände unter sich lebt, ist sie bei uns noch allgemeine Umgangssprache zwischen Gebildeten und Ungebildeten, Hoch und Niedrig, Reich und Arm. In dieser Tatsache liegt eine unserer schönsten nationalen Eigenheiten, die zu bewahren jedem echten Schweizer ans Herz gelegt werden sollte. …

Was gibt es Ehrwürdigeres, was ist inniger mit dem ganzen Wesen eines Volkes, seinem Ursprung und seiner Geschichte verknüpft, als die Mundart? Sie ist die Sprache der Kindheit, die Sprache unserer Väter….

Laute und Wörter haben sich von Generation zu Generation übertragen, von Mund zu Mund sind sie durch die Jahrhunderte gewandert auf einer langen, lebendigen Brücke bis zu uns. Wie das Kind sie von seiner Mutter, seinem Vater gehört hatte, so lernten es später wieder seine Kinder von ihm. Allein auf dieser langen Wanderung, wo die Träger immer wechselten, ist die Sprache nicht unverändert geblieben; sie hat sich so verändert, dass wir heute Mühe hätten, uns mit unseren Vorfahren vor tausend Jahren zu verständigen….
Vor allem floss die Rede zu jener Zeit viel langsamer dahin; das zeigen die vollen Laute a, o, i, u, die in den End- und Nebensilben gesprochen wurden. Schon einige Jahrhunderte später sind sie zu e abgeschwächt und in unserer heutigen Mundart vielfach ganz weggefallen. Wir sagen „hüt“ für „hiutu“, „regnet“ für „regenoot“, „Bömm“ für „Bauma“. Die Entwicklung der einzelnen Laute (Buchstaben) ist aber nicht eine regellose, sondern es lässt sich bei näherem Zusehen, wie bei den Veränderungen der Natur, eine bestimmte Gesetzmässigkeit erkennen. … war aber die Entwicklung nicht überall die gleiche… so finden sich überall, allerdings mehr oder weniger, Unterschiede in der Mundart sogar von Gemeinde zu Gemeinde.
Diese Sprachspaltung ist begründet in der geschichtlichen Entwicklung einer Gegend. Was Jahrhunderte lang kirchlich und politisch zusammengehörte, bildete ein Verkehrsgemeinschaft für sich und da war die Gelegenheit zu gesonderter sprachlicher Entwicklung gegeben, da eben ein reger Verkehr mit dem benachbarten Gebiete fehlte und ein sprachlicher Ausgleich daher nicht möglich war….

Wenn man den Lautstand einer Gegend ganz genau aufnimmt, d.h. an möglichst vielen Punkten die Aussprache aller Wörter abfragt,…, so erhält man die sprachlich zusammengehörigen Gebiete und für jeden Unterschied zwischen ihnen ganz genau die Grenzlinie, bis wohin man so sagt, und wo wieder anders, z.B. wo „nüd“ und wo „nöd“, oder wo „g’seit“ und wo „g’sääd“ oder „g’soat“ usw. …

Jedoch nicht nur die Aussprache der Wörter hat sich geändert, sondern oft auch deren Bedeutung und hier zeigt sich nun der Reichtum der Mundart gegenüber der Schriftsprache. …

Heute tut es wirklich not, alle die mundartlichen Schätze durch Aufzeichnung zu bergen. Jeder fühlt den zerstörenden Einfluss, den Schule und Verkehr auf die Volkssprache ausüben. Die Kinder reden nicht mehr wie die Eltern, geschweige wie ihre Grosseltern; mit jedem Greise, der ins Grab sinkt, verschwinden auf immer kostbare Überlieferungen, die in ihren Wurzeln viele Jahrhunderte zurückgehen.

Immer stärker werden die Einflüsse der Schriftsprache. Und doch wird uns diese nie die Mundart ersetzen können.
Eine allgemeine deutsche Schriftsprache gibt es erst seit ein paar Jahrhunderten und sie beruht auf der Mundart einer einzelnen Gegend, die dadurch allgemein geworden ist, dass Luther in ihr geschrieben hat. Durch seine Bibelübersetzung fand sie nach und nach überall Eingang. Auch die frühere Schriftsprache der Schweiz mit ihrem stark schweizerdeutschen Charakter wich dem Gemeindeutsch, und es ist wohl gut so.

Gewiss ist es heute für Jeden von grossem Wert für sein Fortkommen, wenn er in der Schule die Schriftsprache in Wort und Schrift möglichst beherrschen lernt. Allein diese wird uns nie ins Herz wachsen wie die Mundart, die viel reicher ist zum Ausdruck unseres Denkens und Fühlens. Geben wir sie wenigstens nicht leichtsinnig preis, sondern behalten wir ihr unsere Liebe und Achtung und tun wir unser Möglichstes, das mit ihr schwindende kostbare Gut durch Sammlung vor dem vollständigen Untergange zu bewahren.

interne Links: Wörtersammlung, Tonaufnahmen

Frauen Sennwalds

Ich freue mich, dass

  • das fünfte Doazmol-Buch (mit Geschichten und Anekdoten über die Frauen in Sax, Frümsen, Sennwald, Salez und Haag) diese Woche erschienen ist – und so begeistert Anklang findet
  • die Tonaufnahmen einiger Anekdoten aus dem „Frauenbuch“ in allen fünf Dörfern Sennwalds wie vorgesehen durchgeführt werden konnten
  • ich in den vergangenen Tagen auf einen Sennwalder hingewiesen wurde, der zusätzlich unbedingt auch in Ton aufgenommen werden müsse – tatsächlich ein genialer Sprecher – und heute zwei Texte und natürlich auch die beiden Sprüche „Eine Zeine voll Seife …“ und „Ich werfe dir einen Stein …“ auf Band (resp. digital) gesprochen hat

Hier stellvertretend ein Müsterchen: Feierabend im Schäfli:

„Wenn Gescht überhoggat sind und s’Ziit gsä ischt zum Firobet macha, denn hät s’Röösli Pfääschter uuftoa – het aber nünt gsaat.
Aaber ma het gwüsst, as ma mos goo. Meischtens hommer denn o g’folgat.“

Die anderen vertonten Anekdoten finden Sie hier.

Rheintaler-Witz resp. unsere Dialekte

Ich habe diese Woche mit alten Einheimischen aus Sax, Sennwald, Frümsen, Salez und Haag Passagen aus meinem aktuellen Buchprojekt in den jeweiligen Dorfdialekt übersetzt. Per Zufall sei gleichzeitig im „Tagi“ folgender Witz abgedruckt worden, den ich hier gerne wiedergebe:

Um Verwechslungen zu erleben, muss man nicht ins Ausland reisen:
Ein Rheintaler mit urchigem Dialekt will in einem Stadtzürcher Geschäft eine Winterjacke kaufen. Er sagt: „I suach ä Weäntar-Jagga.“ Die Angestellte: „Wie bitte?“ Er: „Ä Jagga för dä Weäntar.“ Sie, nach mehrmaligem Nachfragen: „Weanta? Isch das e Marke?“

Als Zürcherin hatte ich diese Woche zwar nicht Verständnisprobleme, aber manchmal war es wirklich knifflig, eine optimale Buchstabenkombination zu finden, um die sehr speziellen Laute in den Sennwalder Dialekten möglichst treffend wiedergeben zu können. Ich freue mich deshalb riesig, dass sich alte Einheimische aus allen fünf Dörfern Sennwalds bereit erklärten, Tonaufnahmen zu machen. Diese werden, ca. August hier veröffentlicht. Wer nicht so lange warten kann: den Frümsner Dialekt kann man sich unter folgendem Link bereits jetzt anhören: Frümsner Bräuche

Sennwalder Dorfdialekte – Uebersetzer und Sprecher gesucht

Die Sammlung von Geschichten und Anekdoten über die Sennwalder Frauen doazmol ist abgeschlossen und wird zur Zeit zu einem Buch zusammengestellt.

Einige der Anekdoten möchte ich in den jeweiligen Dorfdialekt übersetzen und dann von einem Original-Sprecher Tonaufnahmen machen. Das heisst, ich suche für alle 5 Dörfer Sennwalds sowohl „Übersetzer“ als auch „Sprecher“.

Bitte unbedingt bei mir melden, wenn Sie dabei mitmachen wollen, oder jemanden kennen, der geeignet ist. (Sowohl Übersetzer als auch Sprecher bleiben anonym, es werden keine Namen veröffentlichet.)

Wer weiss was „Türggabüch“ sind?

Ich habe eine Anfrage erhalten, auf welche ich leider nicht zu antworten weiss.

Zitat: „Ich habe eine Bitte: Mein Vater, leider inzwischen verstorben, hat immer geschwärmt von „Türggebüch“, ein süsses Gebäck, das seine Mutter, eine Saxerin, ihm gemacht hat. Ich habe leider kein Rezept und würde es sehr gern haben. Hast du schon davon gehört?“

Kennt jemand dieses Gebäck? Hat jemand eine Vermutung, um was es sich da handeln könnte? Hat gar jemand ein Rezept? Bitte unbedingt melden. Denn dies ist Ziel und Zweck dieser Website, Vergangenes vor dem Vergessen zu bewahren. Kontaktformular

Haarstrienza – Wer weiss, welche Pflanze dies ist?

Ich bin, wie angekündigt, am Sammeln alter Geschichte(n) und Hausmittelchen zur ersten Hilfe von doazmol.
Gestern wurden mir von einem über 80jährigen diese Wurzeln übergeben, welche von seinem Grossvater stammen und zur Blutstillung benutzt worden seien.
Man nannte sie „Haarstrienza“.
Die faserige Wurzel kann stückweise „ent-wickelt“ werden und wurde so auf die Wunden gelegt.
Weiss jemand, um welche Pflanze, resp. Wurzel es sich hier handelt?

Haarstrienza

Nachtrag am 19.9.2013: Es ist Meisterwurz! (Im Pfarrer Künzle Kalender von 1945 folgende Textstelle gefunden … Meisterwurz (Horstrinze) …

Meisterwurz (Horstrinze)

Brand-Herd

 

Episode 10 – „Brand-Herd“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Aus dem Sticklokal hatten die Eltern einen Teil durch eine Wand abgegrenzt und ein kleines Stübchen gemacht. Von diesem aus war ein Fensterchen gegen die Küche angebracht. Gerade hier war in der Küche der Holzherd gestellt.

Es war wieder einmal an einem schönen Sonntagmorgen, etwa 1888, als die Eltern und meine Geschwister eine kleine Reise unternahmen, und ich musste daheim bleiben bei unserer lieben Milchspenderin Ziege. Ich sorgte gut dafür, dass sie nicht Hunger und Durst leiden musste. Aber ich suchte auch für mich etwas Gutes zu machen. Es war wohl etwa halb zehn Uhr, ich beabsichtigte „Pätsch“ (ist ungefähr Omelette) zu machen.

Also: Ich mache Feuer, tue die Bratpfanne darauf und ordentlich Fett hinein, denn es soll gut werden. Dann nehme ich zwei Eier, ein Beckeli voll Mehl, etwas Salz und eine grosse Kachel und gehe zum Tisch in die Stube mit diesem Zeug und schwinge alles gut untereinander. Den Rücken habe ich gegen das Küchenfenster. Plötzlich sehe ich, dass an der anderen Wand sich immer etwas bewegt, das man nicht halten kann, ein Schatten. Ich kehre mich um und erschrecke grausig, denn in der Küche ist vom Herd gegen die Diele ein hohes Feuer.
So rasch wie nur möglich springe ich hinaus, nehme die brennende Pfanne und werfe sie, ohne zuerst das Fenster zu öffnen, auf die Strasse hinaus. Es kamen gerade eine Schar Leute aus der Kirche. Ich sah, wie sie stutzten, aber es kam niemand zu sehen, was los wäre. Mit meinem Mittagessen war es also nichts, denn ich konnte den Teig nicht kauen und nicht schlucken.

Um vier Uhr liess ich die Ziege wieder los und ging mit ihr nach dem Saxerriet, wo sie sich wieder satt fressen konnte. Aber ungern kehrte ich abends mit ihr Heim – es musste doch etwas meiner warten. Am Abend merkte es noch niemand, aber als am Morgen die Mutter Rösti machen wollte, war die Pfanne ganz durchlöchert und das Fenster zerschlagen. „Was hets do geehn?“ Es fiel mir gar nicht ein, etwas zusammen zu lügen, denn jenes Erlebnis beim Götti vergass ich nicht. Ich erzählte also gerade klipp und klar was geschehen war und wartete darauf, dass der Vater den Gurt abtun und mich über die Knie nehmen werde. Aber nicht das geschah. Der Vater sagte: „Das ist s’Gschidst gsi was hest chönna toan, s’Fenster chamma wieder macha und a Pfanna chamma o wieder choofa, aber wenn s’Hüüsli abbrännt wär, hetend mör en grossa Schade“. Nun war mir wieder wohler und mein Eifer ihm fleissig zu fädeln, wuchs nicht wenig an.“

Lokalpatriotismus

 

Episode 6 – „Örtligeischt“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugend-erinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

Es kam leider im Dörfchen der „Örtligeist“ öfters zur Geltung und damit eine gewisse Verachtung.

Das geschah von einem Teil der Mitklässler gegen mich, weil ich eben „nur“ ein Frümsner war und weil ich die Rechnung (siehe Episode 3) richtig und zuerst gelöst hatte. Da wurde ich oft auf dem Heimweg von einer ganzen Rotte umzingelt, gepufft und mit Schimpfnamen beladen.

Als aber ein Mädchen mich herumriss, stellte ich mich mit dem Lineal zur Wehr und traf sie gerade in einen Schranz in der Schürze, der sich dann bis zuunterst verlängerte. Ihr Vater war aber Schulrat und kam am folgenden Tag während der Pause auf den Spielplatz. Ich sah ihn kommen. Ich überlegte rasch; wenn ich fliehe, erwischt er mich ein anderes Mal, ich sag’s lieber rasch dem Lehrer was los ist. Dieser hiess mich: „Bleb da!“ Der Schulrat kam her und wollte mich packen. Der Lehrer stand aber vor mich hin und fragte: „Herr Schulrat, was wollen sie hier?“ „Ebe dem chaibe Schnodere emol e par an Grind ai geh“. Lehrer: „Herr Schuelrot, do hond sie nünt z’toa, im Schuelhus und uf em Spielplatz bin i zueständig und sos niemert. Wenn si meined, si sigid im Recht, muessme das amene andere Ort usmache“.
Damit war die Sache erledigt und meine Liebe zum Lehrer voll.

Wie wäre es doch schön auf der Welt, wenn überall Gerechtigkeit und Schutz vor Gewalt zur Geltung käme. So wurde nun auch der Gang zur Schule für mich erleichtert: Der Lehrer warnte vor weiteren Plagereien und drohte dabei mit dem Lineal.

Tatzen in der Schule

 

Episode 5 – Tatzen in der Schule: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Bis anfangs dritter Klasse war Herr Robert Bühler unser Primarlehrer. Seinen Unterricht genoss ich in vollen Zügen. Für manche Schüler, über welche ein anderer hinweg gegangen wäre, opferte er Geduld und Zeit, um sie, trotz ihrer Beschränktheit, doch noch zum Lesen und Schreiben zu bringen. Aber dennoch mussten Fortgeschrittenere nicht warten. Leider hiess es eines Tages plötzlich, es sei keine Schule mehr, der Lehrer sei fort.

Nach vielen Wochen ging die Schule wieder an. Ein neuer Lehrer kam. Sein Beginn gefiel mir doch gar nicht, er lautete ungefähr: „I bi jez euera Learer, die alt Schlamperei höart jez uf, i will eu jez denn emol ranschiera zum recht toa und lerna“. Der Lehrer blieb noch manche Jahre da. Ich machte bei ihm noch alle Klassen von 3-7 und ein Jahr Ergänzungsschule durch. Von den vielen Eindrücken, die ich da erhielt, erzähle ich lieber nicht viel. Sie trugen mir nicht viel Liebes ein.

Vier „Tatzen“, die ich von ihm auf meine schwachen Fädlerbubenhändchen erhielt, lösten in mir eine grosse Abneigung gegen ihn aus, denn ich war mir nie bewusst, womit ich sie hätte verdient haben sollen. Aber ich kann mich damit abfinden, weil andere Schüler – nicht alle – auch sehr oft körperliche Strafen erhielten, weil sie nicht zu antworten wussten. Vielleicht hat er nicht gewusst, dass man einem Gelehrsamkeit und Weisheit weder durch Hände noch durch die Haare oder den Hintern eingeben kann. In dieser Beziehung war er aber tatsächlich ein sehr geplagter Mann, denn es gab doch immerhin furchtbare Stöcke und Faulenzer, die ihm das Leben verbitterten.

Einmal konnte ich ihm eine grosse Freude machen. Er hatte angeordnet, dass am Morgen gebetet werden müsse und zwar jedes Mal der folgende oder die folgende und immer müsse es wieder ein anderes Gebet und niemals das „Unser Vater“ sein. Das gab Kopfzerbrechen.
Als ich an die Reihe kam, betete ich: „Vater im Himmel, wir rufen dich an, lehre uns wandeln die richtige Bahn. Lass uns erkennen was wahr ist und gut, gib es zu üben uns freudigen Muts. Eltern und Lehrer mit lobendem Sinn, führen zur Tugend zur Wahrheit uns hin. Segne, o Vater, ihr treues Bemühn. Amen.“ – Der Lehrer stand noch eine Weile mit gefalteten Händen mit rotem, gesenktem Kopf da.
Dann schaute er mich so lieb an, wie noch nie, kam zu mir her und fragte: „Tinner, woher hast du das?“ „Jo, das hani scho chönna vor i ha mösa i d’Schuel. S’Anneli und dr Andres hond das mösa lerna und do hanis halt o chönna“.
„So“, sagte er, „das Gebet muest du mir ufschriibe“ und zu den Schülern der 4.-7. Klasse „das müessender usswendig lerna, das ist s’best Schuelgebet“. Das hatte ich natürlich nicht beabsichtigt und es trug mir den Zorn vieler Mitschüler ein.
Durchgeführt wurde der Befehl nicht, gute Vorsätze blieben ja vo jeher meistens nicht ausgeführt.“