Grabser Schuleinrichtung

 
Episode 16 – „Schule : (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Jeden Tag wurde zum Anfang und zum Schluss ein Gebet gesprochen. Dies lernten wir von den Drittklässlern, die mit uns im gleichen Schulzimmer und vom gleichen Lehrer unterrichtet wurden.

Wir schrieben mit dünnen Griffeln auf Schiefertafeln. Später bekamen wir Holzgriffel, ähnlich wir Farbstifte, einfach mit einer Griffelmine.

Im Sommer hatten wir nur am Vormittag Schule, nachmittags gab es für die meisten Kinder zu Hause Arbeit. Dafür mussten wir auch am Samstagvormittag in die Schule.

Hausaufgaben kannten wir nicht, auch Prüfungen gab es noch keine, vielleicht in der dritten Klasse mal ein Diktat.

Im Sommer 1952 wurde das neue Schulhaus im Feld mit einem Umzug und Fest eingeweiht. Das alte Schulhaus wurde abgebrochen und an seiner Stelle die Molkerei Grabs gebaut.

Nun wurde also das Schulhaus Feld bezogen. Helle Räume mit grossen Fenstern, neue Pulte und höhenverstellbare Stühle, dazu eine grosse ebenfalls höhenverstellbare Wandtafel, welch ein Luxus! Im alten Schulhaus sassen wir noch in Viererbänken, die unten mit den Pulten starr verbunden waren.

Umzug Einweihung Schulhaus Feld

Umzug Einweihung Schulhaus Feld

Chörbliwasser

Episode 15- „Chörbliwasser“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Im Garten wuchs auch das Kerbelkraut, aus dem im Frühsommer in den Brennereien Kerbelwasser gebrannt wurde. „Chörbliwasser“ ist ein altbewährtes Heilmittel, das man für allerlei Wehwehchen anwenden kann.

S’Chörbliwasser
Wenn’s di ufem Maage tuät trugge,
und es zwiggt di gad onò ufem Rugge,
häsch e òffes Bei, oder sus ötschwo e Wunne,
vilicht sogär dr Chopf iibunne,
churzum, es chò dr weäh tòä wo’s dr will
un Medizin vum Tòggter nützt o numme vil,
denn muescht gär nid lòng ummepfuttere,
griefsch sofort zur Chörbliwasser-Guttere.
Nimmscht allpòtt en waggere Schlugg dervu,
un scho glii wört’s dr wieder besser gu.
Chörbliwasser brennt mä us Chrutt wo so guet schmeggt,
as eim wieder alli Lebesgeischter weggt.
Mä tarsch uni wittersch o de Goofe gih,
s’ischt nämli gär ken Alkohol dri.
Jetz frögen d’Lüt sicher gònz gwunnerig
wo mä echt das Wasser überchöm, das bsunnerig.
S’ischt nid schwär, das Örtli z’finne,
am Grabserberg lit’s, eäner echli hinne.
Unnerwies heisst’s, en Huffe Lüt wüssen das,
döt git’s Chörbliwasser, wenn wotsch ä gònzes Fass.

(Aus der Liederkassette des Grabser Schüler-Chors, von Anni Gantenbein, Matnän, Grabserberg)

Anmerkung zum Chörblichruut: Chörbliwasser ist eine destillierte, alkoholfreie Flüssigkeit, die aus Wasser und frischer Süssdolde hergestellt wird. Seinen Namen hat das Chörbliwasser vom Kerbelkraut (“Chörblichruut“). Das Chörblichrut wurde in den Gärten gepflanzt und konnte über den Sommer zwei Mal geschnitten werden. Es wurde in die Brennereien gebracht, dort verarbeitet und das fertige Heilwasser in Korbflaschen abgefüllt. Das Chörbliwasser mit seinem starken Anisgeschmack war DAS Hausmittel in der Gegend und gegen vielerlei Gebresten verwendet.

Landwirtschaft in den 50er Jahren

Episode 14- „Unsere Arbeiten um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Als wir grösser waren, hiess es für uns bei den anfallenden Arbeiten mithelfen.

In der warmen Jahreszeit durften die Kühe wieder ins Freie auf die saftigen Felder. Waren die beiden Wiesen zu Hause abgegrast, wurde das Vieh auf weiter entfernte Weiden geführt. Dabei half ich gerne. Mit dem Velo lief ich voraus, ab und zu war ein Lockruf nötig: Hoo-o-o-o, chomm weili weili, chomm, buu-u-uu!, und die Vierbeiner folgten hinter mir her. Meistens hatte die Kuh namens „Braune“ ihr Maul fast am Velosattel, so nah lief sie hinter mir her. Zuhinterst folgte unser Vater oder mein grosser Bruder mit einem Stock in der Hand. So marschierte die ganze Truppe auf der Hauptstrasse z.B. beim Restaurant Krone vorbei zur Marienwies. Gegen Abend wurde das Vieh wieder nach Hause geholt zur Fütterung mit Heu und zum Melken.

Wenn mein Bruder mal nicht da war, durfte ich die Kühe „handle“, das heisst vormelken. Dabei musste ich die Euter mit den Händen streicheln und zwar immer von oben nach unten zu den Zitzen. So wurden sie stimuliert, um die Milch besser fliessen zu lassen.

Wenn eine Kuh trächtig war, schickte uns der Vater gegen Ende der Tragzeit zur „Mali“. Wir musste bei ihr Globuli holen „zum besser kalbern“. Mali war Homöopathin. In einem Zimmer befanden sich auf Wandkonsolen viele grosse, braune Glastöpfe, in denen die Globuli aufbewahrt waren. Sie mischte die kleinen, weissen Kügelchen nach Rezepten aus einem grossen, dicken Buch. Waren wir Kinder erkältet, besorgte Mutter für uns Akonit (Aconitum). Weil wir selten Süssigkeiten zu Hause hatten, stibitzte ich manchmal von den süssen Globuli.

Im Frühjahr wurden die Kartoffeln gesteckt, dann wurde mit Heuen begonnen, danach folgte schon wieder das Emden.

Eines Morgens hörte ich Vater in der Küche zu Mutter sagen: „Heute gehe ich mähen.“ Das rief in mir keine Freude wach, ich ging viel lieber zur Schule als zum Heuen. Aber ich konnte die Jahreszeiten und die Arbeiten nicht aufhalten.
So mussten wir alle, gern oder ungern, tüchtig mithelfen. Am liebsten schichtete ich das Heu auf Heinzen. Vater ordnete das Heinzenmachen nur an, wenn eine Schlechtwetterperiode angesagt war. So war ich für einige Tage von meiner ungeliebten Arbeit befreit.
Wir besassen damals nur eine Mähmaschine und einen Schwadenrechen, mit dem man Mädli machen konnte. Alle andern Arbeiten mussten von Hand verrichtet werden.
Nach dem Heuen wurde unverzüglich mit Emden begonnen. Das Emd war um einiges leichter als das Heu. So war auch das „Worben“ und „Zetten“ weniger streng. Am frühen Vormittag musste das frisch gemähte Gras geworbt, anschliessend die Schöchli vom Vortag auseinander gezettet, am Nachmittag dieses fast dürre Heu nochmals gezettet werden. Dann konnte man es mit dem Schwadenrechen zu Maden zusammenmachen.
Nun begann man das Heu zu laden, Mutter und Bruder gabelten das Heu auf den Brückenwagen, wo es Vater fachgerecht zu einem gleichmässigen Fuder aufschüttete. Ich musste mit dem grossen Rechen hinten noch den liegengeblieben Rest zusammenrechen.
Das ganze Fuder wurde mit einem Bindbaum und einem Seil gut angebunden und dann von unserem treuen Pferd Kuba nach Hause gezogen. In der Tenne wurde das Futter für den Winter mit Gabeln, später mit einem Zangenaufzug auf den Heustock gebracht, wo wir Kinder es feststampfen mussten. Wir waren barfuss und die dürren Heustängel verursachten etliche Kratzer an den Beinen. Auch beim Arbeiten auf den Wiesen zogen wir manch schmerzhaftes „Stumpenloch“ zu, meistens zwischen den Zehen.

Andere Kinder sammelten mit ihren Schaufeln und Holzkisten auf den Strassen im Dorf den Pferdemist als Dung für die Gemüsegärten ihrer Mütter.

ein Fuder Heu

ein Fuder Heu

 

Nach der Heuernte folgten gleich die Kartoffelernte. Dies verrichtete Vater mit dem vom Pferd gezogenen Pflug . Wir mussten die reiche Ernte auflesen, dabei die Ackererde gut abreiben und die vollen Körbe in Säcke leeren.

Im Herbst war Obst pflücken und auflesen angesagt.
Vater pflückte Äpfel, die er nach Gams an den Frucht- und Gemüsehändler Kesseli verkaufen konnte. Dieser wiederum hatte seine Kunden in der halben Ostschweiz, mit dem Lastwagen fuhr er bis nach St. Gallen an den Markt. Das Fallobst lasen wir auf. Diese Arbeit liebte ich, mit Mutter machten wir Wettrennen, wer zuerst einen Kratten voll hat. So war der Boden unter einem Baum schnell gesäubert und Sack um Sack mit Mostobst gefüllt. Die letzten Äpfel waren die Bosdorferli. Ich erinnere mich, dass Mutter und ich einmal bei eisigkaltem Wetter und leichtem Schneegestöber die letzten Mostäpfel auflasen.

Wir hatten auch einen Acker mit Mais. Da freuten wir uns auf die „Türggeusscheletä“. Im Tenn wurden die reifen Maiskolben auf einen Haufen geschüttet. Auf den Längsseiten der Tenne standen Holzbänke, auf denen wir und einige unserer Nachbarn Platz nahmen. Dann griff man sich einen Maiskolben, schälte die Blätter weg, liess aber drei bis vier starke Blätter daran. So konnte man je zwei Kolben miteinander zu einem Paar verknüpfen. Diese wurden zum Trocknen im luftigen Estrich an Holzleisten aufgehängt. Waren die Maiskörner hart, wurden sie in der Stricker-Mühle zu Mehl gemahlen. Bei dieser „Türggeusscheletä“ ging es meist lustig zu und her. Es wurde gesungen, Geschichten von früher erzählt, Witze zum Besten gegeben, man lachte und freute sich. Nach der Arbeit gab es einen Imbiss, ich erinnere mich an Birnbrot mit Butter und Kaffee. Wahrscheinlich war auch Most vorhanden.

In meiner Jugendzeit hatte es viel mehr Schnee, als heute. Oft lag am Morgen 30 bis 40 cm Neuschnee. Dann nahm Vater den kleinen Schneepflug hervor, spannte unser Pferd davor und pflügte die Gässchen und Gassen um unser Haus und in der Nachbarschaft. Der Schneepflug bestand aus zwei etwa 40 bis 50 cm hohen, starken Brettern, die zu einem „V“ verfestigt waren. Quer darüber wieder ein Brett, auf dem unser Vater sass, das Leitseil in der Hand. Das Pferd zog den Pflug durch den Neuschnee und so entstanden begehbare Wege.

Bekleidung früher

 

Episode 13- „Kleidung um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Fussbekleidung
Wir liefen während der ganzen warmen Jahreszeit barfuss, auch zur Schule trugen wir bis zur Oberstufe keine Schuhe. Für den Sonntag hatten wir aber weisse Söckli und Sonntagsschuhe.
Barfuss gehen durften wir im Frühling erst, wenn auf dem Pierbühel kein Schnee mehr lag oder der Kuckuck das erste Mal seinen Ruf erschallen liess. Im Herbst konnten wir barfuss gehen so lange wir mochten. So härtete man sich ab für den Winter.

Für meinen ersten Schultag nähte mir Mutter eine hochgeschlossene Schürze mit „Fälbeli“ (Volants) an den Achseln. Darunter trug ich einen blau-weiss karierten, langärmligen Rock. Um die Rock- und Pulloverärmel zu schützen, trugen wir Überärmel. Diese reichten vom Handgelenk bis über den Ellbogen. Sie waren aus Baumwollstoff und hatten vorne und hinten einen Gummizug. Schürzen trugen wir während den ganzen Schuljahren, sogar in der Sekundarschule.

Kleidung im Winter
Wir Mädchen zogen nun an Stelle eines Rockes unsere Skihosen an. Mutter nähte sie selbst aus warmem Wollstoff aus „Rohners“ Stoffladen. Erst waren es richtige Plumphosen, die nach ein paar Jahren, in denen wir wuchsen, fast zu Keilhosen wurden.
Als Winterschuhe trugen wir über die Knöchel reichende Schuhe mit Holzboden. Die waren recht warm, hatten aber den Nachteil, dass sich an den Holzsohlen Schneeklumpen bildeten. Später hatten wir dann Winterschuhe mit starken Gummisohlen. Unsere Unterwäsche bestand aus selbst genähten Barchenthemden mit langen Ärmeln und Interlockunterhosen, die an den Beinabschlüssen einen Gummizug hatten. Die Hosenbeine reichten bis etwa Mitte der Oberschenkel. Interlock ist ein Baumwollgewebe ähnlich einem Jersey, der aber auf der Innenseite aufgerauht war, fast wie Frottee.
Wir hatten auch Einteiler als Unterwäsche. Auch diese waren aus dem gleichen Material, hatten lange Ärmel und lange Beine bis zu den Knöcheln. Damit wir auf den Abort konnten, hatten diese Einteiler an der Hinterseite der Hose ein oben abknöpfbares Teil, das man hinunterlassen konnte.
Gestrickte Wollstrümpfe schützten die Beine vor der Kälte. Die Strümpfe reichten bis zum Ende der Oberschenkel.
Über dem Unterhemd trug man ein „Gstältli“. Das war wie ein ärmelloser Pullover mit schmalen Achseln und reichte nur bis zur Taille. Beidseitig war am unteren Rand je ein Lochgummiband angenäht. An den Strumpfabschlüssen befand sich an der Beinaussenseite je ein Knopf, an dem man das Gummiband einhängen konnte. So rutschten die Strümpfe nicht hinunter. Etwa in der 5. Klasse mussten wir in der Handarbeitsschule selbst ein Paar Strümpfe stricken. Meine waren aus beiger Wolle, das Muster zwei rechts, zwei links, die rechten Maschen in jeder 6. Runde immer gekreuzt: so entstand ein Zopfmuster. Ach wie hatte ich lange Beine, ich glaubte, ich würde nie fertig mit „lisme“, und doch schaffte ich es.
Gestrickte Fausthandschuhe und Mützen hielten Hände und Kopf warm. Die Jacken waren auch aus Wolle gestrickt, oder Mutter nähte uns solche aus warmem, dunkelblauem Wollstoff.

Karussel und Zuckerwatte

 

Episode 12- „Jahrmarkt um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Zwei Mal im Jahr fand im Dorf ein Warenmarkt statt, der Jahrmarkt. Auch dieser Tag war für uns Kinder ein kleiner Festtag.
Wir bekamen unter dem Jahr kein Sackgeld, aber am Jahrmarktstag gab uns Mutter einen Einfränkler mit der Bemerkung: „ S’vorig bringsch denn wieder!“ Und es kam vor, dass ich ihr noch einen Zwanziger zurückbringen konnte! Mit diesem Fränkler durften wir allein auf den Jahrmarkt. Da gab es ganz viele feine und schöne Sachen zu kaufen. Bei Vielem mussten wir uns mit Anschauen begnügen, aber am Magenbrotstand kaufte ich gerne eine Zuckererdbeere oder ein Päckli Zuckerzigaretten, die schmeckten so fein.

Beim Spielwarenstand kaufte ich mir mal einen Propeller, den man mit einem Ring an einem gewundenem Metallstäbchen kräftig in die Höhe schieben musste, dann flog er weit davon. Auch Blechvögel, die man mit einem Schlüssel aufziehen konnte, damit sie auf und ab wippten, waren schöne Jahrmarktsandenken.

Beim Dorfschulhaus stand eine Reitschule (Karussell) mit hübsch bemalten Holzpferdchen. Da freuten wir uns an einer Fahrt bei schöner Musikbegleitung. Ich meine mich zu erinnern, dass die Reitschule von grösseren Schuljungen kräftig angeschoben wurde. In späteren Jahren löste das motorbetriebene, moderne Karussell die Rösslireitschule ab. Da fuhr man die Runden im Feuerwehrauto, auf einem Töff oder in einem Schiff.

Auch bei den Süssigkeiten gab es Neues: die Zuckerwatte!

Einmal fuhr Mutter ohne uns zum Jahrmarkt. Ich wusste, dass es dort auch Südfrüchte zu kaufen gab. So bat ich meine Mutter, mir doch bitte eine Orange mitzubringen. Wir hatten ja fast das ganze Jahr über Äpfel zum Essen, man kaufte keine teuren Früchte im Laden.
Als Mutter sich auf dem Velo unserem Haus näherte, hielt sie in der Hand eine Orange hoch. Wie freute ich mich, aber oh weh, es war keine Orange, sie hatte für uns einen kleinen, orangefarbenen Ball gekauft. Sie dachte wohl, dass so alle etwas Neues zum Spielen haben, eine Orange wäre ja in kurzer Zeit verschwunden gewesen.

Badezimmer um 1950

 

Episode 9 – „Unser Badezimmer um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Unser Badezimmer befand sich unter freiem Himmel. Als Badewanne nutzten wir den Brunnentrog vor dem Stall. Dieser diente aber in erster Linie als Durstlöscher für die Kühe, wenn sie von der Weide zurück in den Stall kamen, oder wenn sie im Winter zum Trinken hinausgelassen wurden.

An heissen Sommertagen wurde der Betontrog umgenutzt. Schon am Morgen liess ihn Mutter mit Wasser voll laufen. Bis am späten Nachmittag hatte das Wasser eine angenehme Temperatur, sodass wir ein Bad nehmen konnten. Mit grosser Freude vergnügten wir uns! Wir planschten und spritzten einander an. Nebenan scharrten, pickten und gackerten die Hühner und auf der Wiese graste das Vieh.

Unsere tägliche Katzenwäsche und das Zähneputzen fanden am Schüttstein in der Küche statt. Jeweils am Sonntag musste die Körperpflege gründlicher sein.
Bis wir gross genug waren, um uns allein gründlich zu waschen, nahm uns Mutter „in die Kur“. Mit Waschlappen und LUX-Seife wusch sie uns Gesicht, Hals und Ohren, aber auch die Arme bis unter die Achseln. Dann waren wir wieder sauber!

Den Abort erreichten wir vom Hausgang aus über vier Treppenstufen. Es war ein Plumpsklo. Als WC-Papier dienten Zeitungsabschnitte. Mit einem Riegel wurde die Türe verschlossen. Mehrmals passierte es, dass eines der Kinder den Riegel nicht mehr zurück schieben konnte. Jetzt war Vaters Hilfe nötig. Er stieg auf einer Leiter zum schmalen Fenster hoch. Mit einer langen Stange, an deren Ende eine Hakenschraube befestigt war, konnte er den Riegel zurück schieben und uns befreien.

Unter jedem Bett stand ein Nachtgeschirr. Dieses leerten wir am Morgen ins Plumpsklo. Dabei konnte es passieren, dass so ein Nachthafen in den Güllenkasten fiel. Auch da musste Vater helfen. Mit einer Schüttrute, die wir zum Obst schütteln brauchten, angelte er das versunkene Stück aus dem dunklen, stinkigen Verliess.

Haus Oberfeld

Haus Oberfeld

Grosse Wäsche beim Grabser Mühlbach

 

Episode 8 – „Grosse Wäsche um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Jeweils am Sonntagmorgen legte uns Mutter frische Wäsche bereit. Diese trugen wir dann die ganze Woche. Auch die Kleider wechselten wir nur wöchentlich. Die Sonntagskleider wurden am Montagmorgen wieder schön im Schrank versorgt.
Bei einer so grossen Familie wuchs der Wäscheberg kontinuierlich an. Unsere Stofftaschentücher und die gestrickten Wollsocken und -strümpfe wuschen wir von Hand. Dazu stellte die Mutter eine kleine Gelte mit warmem Seifenwasser in der Küche auf den Hocker, und ich war schon bald einmal gross genug, diese Sachen zu waschen. Windeln konnten wir auf dem Holzherd in einem grossen Wäschehafen sieden. Spülen mussten wir sie wiederum von Hand, erst mit warmem Wasser aus dem Wasserschiff und dann noch zwei Mal mit kaltem Wasser.
Alle vier Wochen hatte Mutter grosse Wäsche. Die Bettwäsche wurde gewechselt, was von unseren acht Betten allein schon einen riesigen Berg ergab. Dazu kam die Küchenwäsche, die Frottetücher und Waschplätze. Vaters Stallhosen kamen dazu, die meist sehr dreckig waren. Solch schmutzige Wäschestücke musste Mutter in einer guten Seifenlauge einweichen.

Wir hatten keine Waschmaschine, aber im Dorf gab es drei öffentliche Waschküchen. Mutter liess immer in der Waschküche im Oberdorf waschen. Sie bestellte rechtzeitig die Waschfrau. Für uns war es immer „Gristgatter-Mreiä“ Am Vorabend musste Mutter die Wäsche in grossen hölzernen Gelten, auf einem Handwagen, ins Oberdorf ziehen. Auf dem Wagen war auch das Brennholz, das benötigt wurde um den Waschhafen zu heizen – dies war eine Last.

Den Handwagen mit der Wäsche stellten wir in den Stall bei Grossmutter. Am nächsten Morgen früh, zwischen vier und fünf Uhr, begann Mreiä in der Waschküche mit der Arbeit. Zuerst musste sie Feuer machen um das Wasser in den zwei Waschhafen zu erhitzen. Darin wurde die Wäsche gesotten, zuerst die Weisse, dann die Bunte und zum Schluss die Stallkleider. Dann kamen die Stücke in eine Waschmaschine, die vom Wasser des Mühlbaches angetrieben wurde. Danach wurde in zwei Spültrögen gespült, dazu konnte warmes Wasser vom Waschhafen hinübergeleitet werden. Die letzte Spülung mit kaltem Wasser erfolgte im fliessenden Wasser des Mühlbaches. Ich erinnere mich gut, wie die weissen Leintücher vom strömenden Wasser fast mitgenommen wurden, wie Mreiä sie festhielt und immer wieder zurück zog und wieder mitreissen liess, dies drei bis vier Mal, dann war die Wäsche bestimmt klar gespült. Unsere Mutter half an diesen Waschtagen oft mit, sofern es die anstehenden Arbeiten in der Landwirtschaft zuliessen.

So gegen Mittag war die anstrengende Arbeit getan. Ich weiss nicht mehr genau, welchen Stundenlohn die Waschfrau bekam. Ich meine mich zu erinnern, dass sie für die ganze Arbeit nur 4.50 Franken verlangte. Wusch sie an einem Tag für drei bis vier Familien so kam für sie doch ein schöner Betrag von fast 20.- Franken zusammen.
Mutter holte die saubere Wäsche ab und hängte sie zu Hause zum Trocknen auf. Bei schönem Wetter spannte sie in der oberen Wiese das lange Wäscheseil, in der kalten Jahreszeit oder bei schlechtem Wetter hing die Wäsche in der Oberdiele (Estrich), bis sie trocken war.

Wäsche trocknen

Wäsche trocknen

Grabser Bräuche

 

Episode 7 – „Das Manteln und andere Bräuche“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Der Brauch des Mantelns hielt sich bis in die 60er Jahre. Nahe verwandte Männer trugen bei der Beerdigung auf dem Leichenzug durchs Dorf zur Kirche einen schwarzen Umhang, ähnlich einer Pelerine aus leichtem, schwarzem Stoff.
Es gab zu jener Zeit noch keine Leichenhalle. So wurde die verstorbene Person während drei Tagen im Sarg zu Hause aufgebahrt.
Am Tag der Beerdigung kam der Leichenführer mit seinem schwarzen Leichenwagen, der von einem Pferd gezogen wurde. Die Leute kamen ebenfalls zum Haus. Von dort bewegte sich der Leichenzug in gemächlichem Tempo zum Friedhof. Zuvorderst fuhr der Leichenwagen, an dem die Blumenkränze hingen. Dahinter kamen die Blumenträgerinnen, meist Mädchen im Schulalter. Diese trugen die Blumenschalen und Töpfe, die von Nachbarn, Verwandten und Bekannten geschenkt wurden. Die Blumenträgerinnen erhielten von der Trauerfamilie jeweils ein kleines Geschenk. Hinter den Blumenträgerinnen folgten nun die bemantelten Männer, meist drei oder vier in einer Reihe, dann die weiteren Männer und erst dann die Frauen. Je nach Persönlichkeit gab es so einen recht langen Zug der Menschen, die dem Verstorbenen auf seinem letzten Weg die Ehre erwiesen.
siehe auch „Chircheheiseri“ (interner Link)

Starb ein Elternteil war es Brauch, dass man die Trauerkleidung ein ganzes Jahr lang trug, bei Geschwistern ein halbes Jahr, bei Onkel und Tante waren es drei Monate, bei Grossonkel und Grosstante waren es noch drei Wochen.

Taufe
Die meisten Leute hatten zu jener Zeit noch kein Auto. So ging man mit dem Täufling zu Fuss zur Kirche. Es war Brauch, dass eine Pfuchgotta das Kind im Tragkissen zur Kirche trug. Zu diesem Zweck wurden grössere Schulmädchen angefragt. Erst dort übernahm dann die Gotte den Täufling.
Pfuch bedeutet Pfui. Dem Wort Gotta vorangestellt, würde das auf eine „falsche Gotta“ hinweisen. Daneben aber gibt es „der Pfucher“, was Knirps bedeutet. Damit wäre ein Hinweis auf die kindliche Gestalt der Trägerin gegeben.

Konfirmation
Nach der Konfirmation galt man als erwachsen, nun durfte man auf den Tanz gehen. Meistens war der erste Tanzanlass an Auffahrt im Restaurant Sonnenblick am Gamserberg. Da wanderten die frisch ledigen Grabser und Grabserinnen scharenweise zum Tanzlokal.

Geburtstage, Namenstage, Ostern und Weihnachten waren unsere Festtage.

Gross wurden die Geburtstage nicht gefeiert, es wurde gratuliert und als Geschenk gab es vielleicht mal eine Schokolade, dazu sicher etwas, das gerade gebraucht wurde, z.B. ein Paar Unterhosen oder ein Hemd.

An den Namenstagen wurden wir am Morgen, wenn wir aufstanden, am Hals leicht gewürgt. Die Bedeutung dieses Brauches kenne ich nicht.

An Ostern war für jedes Kind irgendwo im Garten ein Osternestli versteckt. Darin befanden sich ein paar Ostereier und ein Blechosterei, das lauter Zuckereili enthielt. Einmal in der Osterzeit kam Mutters Cousin zu Besuch. Er brachte uns einen riesigen Osterhasen aus Schokolade. So etwas hatten wir noch nie gesehen, das war ein Fest für uns Kinder.

Das Weihnachtsfest wurde voller Spannung erwartet. Was würde das Christkind uns wohl bringen? Welche Wünsche hatten wir? Einen Schirm, eine Badehose, Wollsocken, Finken, Handschuhe, Mütze, Unterwäsche usw. Bei uns kam das Christkind mit dem Christbäumli und den Geschenken über Nacht. So konnten wir den Morgen kaum erwarten, voll Freude und Spannung betraten wir die Stube. In der Ecke am Fenster stand wie immer der hübsch geschmückte Christbaum, an dem nebst bunten Kugeln und Engelhaar auch einige Schoggimäuse hingen. An der Wand zwischen den beiden Fenstern stand der Gabentisch. Darauf lagen und standen alle unsere Geschenke, nicht etwa hübsch eingepackt, nein einfach so.
Von meinem Götti bekam ich jede Weihnachten ein Besteckteil: einen Silberlöffel, später die dazugehörenden Messer, Gabeln und Kaffeelöffeli und zur Konfirmation bekam ich die noch fehlenden Teile.
Von meiner Gotta bekam ich immer etwas „Brauchbares“, einmal einen Schirm, ein anderes Mal waren es Badehosen, weil wir in der Schule im Winter etwa zwei Mal duschen mussten.
Da wurde eingeseift, geschrubbt und gewaschen. Das war sicher nötig, gab es doch in den wenigsten Häusern ein Badezimmer. Es war herrlich unter dem warmen Wasserstrahl!
An Weihnachten vor dem Schuleintritt bekamen wir einen Schultornister, eine Griffelschachtel und Farbstifte. Wenn unsere Gotta oder unser Götti und Familie mit den Geschenken zu Besuch kam, tischte Mutter Weihnachtsguetsli und Rotwein auf. Den Wein holte sie im Konsum, es war meistens Magdalener oder Kalterer.

Am Neujahrstag ging man zu den Nachbarn das Neujahr anwünschen. Da sagten wir: „I wüsche Dir e guets, gsegnets, neus Johr“. Da bekamen wir einen Zehn- oder Zwanzigräppler. Auch den Grosseltern und weiteren Verwandten ging man das Neujahr „aawüsche“. Auch bei diesem Anlass gab es Weihnachtsguetsli und Wein, für uns Kinder Süssmost oder Zuckerwasser.

Nebenverdienst im Alter

 

Episode 6 – „Das Leben im Alter“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Die AHV wurde erst im Jahre 1948 eingeführt. Vielfach wohnten die alten Leute mit ihren Söhnen oder Töchtern und deren Familien zusammen, halfen im Haushalt mit und hatten dafür zu essen und ein Dach über dem Kopf.

Andere mussten wohl von ihrem mühsam Ersparten leben und dazu wenn möglich noch mit irgend einer Arbeit einen Zustupf verdienen.

Da gab es eine Hausiererin, die mit einem alten Kinderwagen von Haus zu Haus ging und Kleinkram wie Schuhbändel, Faden, Nastücher, Kupferplätze usw. verkaufte. Einmal im Jahr kam von Wartau das „Chellefraueli“. Sie trug auf dem Rücken eine Kräze (Rückentragkorb), die behangen und gefüllt war mit verschiedensten Holzkellen.

Im Bürgerheim wohnte ein Mann, der „Chachleflicker“. Ihm konnte man feuerfeste Steingutschüsseln, die im heissen Ofen mal entzwei gingen, zum Flicken bringen. Mit feinem Draht nähte er die Stücke wieder zusammen. Wie er die feinen Löchlein ins Steingut bohrte ist mir unbekannt.

Jeden Samstag machte „s’Chämifeger’s Dres“ mit einer schwer beladenen Kräze auf dem Rücken seine Tour zu den Kunden. Er trug Wurstwaren und Fleisch von der Metzgerei Ochsen aus.

Eine alte Frau verdiente einen 20-Räppler, wenn sie in die Häuser kam um den Tod eines Gemeindemitgliedes zu verkünden. Damals kam die Zeitung nur drei Mal pro Woche. So verrichtete die „Chircheheiseri“ (sie hiess zur Kirche) einen guten Nachrichtendienst. Sie wusste jeweils auch Bescheid über den Verwandtschaftsgrad, und ob die Männer bei der Beerdigung manteln müssen.

Grabs 1954

Grabs 1954

Grabser Milchbüechli

 

Episode 5 – „Milchzahltag“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Bis im Frühling 1954 die Milchzentrale eröffnet wurde, trug unser Vater jeden Vormittag und Abend mit der Tanse auf dem Rücken die Milch zu seinen Kunden im Dorf. Am Abend war die letzte Station im Haus unserer Grossmutter. Im hinteren Hausgang standen drei bis vier Milchkesseli bereit. Es waren die Kannen von Beck Leart (Leonhard), später Schmitter, die Kesseli von „Gäbschä Babä“, von Rose-Helmi und das der Grossmutter.
Unsere Grossmutter hatte in den 50er Jahren schon ein Radio. Da wurden von Jeremias Gotthelf die Hörspiele „Ueli der Knecht“ und „ Ueli der Pächter“ gesendet. An den Hörspielabenden erschien Vater pünktlich, oft war auch Besuch der Milchkunden dabei, die an manchen Abenden mit Grossmutter einen Jass klopften.

auf Milchtour

auf Milchtour

 

Im Jahre 1954 wurde die neue Molkerei Grabs eröffnet, vorher war dort das alte Schulhaus. Von da an musste Vater die Milch nicht mehr auf dem Velo seinen Kunden von Haus zu Haus austragen. Nun wurde die Milch in die Molkerei gebracht. Als wir grösser waren, mussten wir am Abend die Milch auf dem Handwägeli zur Molkerei bringen. Da traf man auch andere Kinder, konnte mit ihnen ein Stück des Weges gemeinsam gehen und noch etwas schwatzen und lustig sein.

Im Laden der Molkerei konnten die Leute die Milch im Offenausschank kaufen. Der Käser stellte aus der Milch aber auch Yoghurt, Butter und Käse her.

Die Ablieferung in der Molkerei war auch für Mutter eine kleine Erleichterung. Nun musste sie die Milchtanse nicht mehr im Brunnen sauber waschen. Man konnte sie sofort nach dem Leeren an der Waschanlage reinigen.

In der Molkerei wurde die Milch gewogen und die Menge in einem Büchlein aufgeschrieben. Jeden Monat wurde dann abgerechnet und es war Zahltag! Auf diesen Tag wartete Mutter oft sehnsüchtig, wenn im Geldsäckel gähnende Leere war.