Konfirmation – und kein Geld für die Ausbildung

 

Episode 16 – „Konfirmation“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugend-erinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Am Karfreitag, 6. April 1896 fand in der Kirche Salez durch Herrn Pfarrer Sonderegger die Konfirmation statt. Er gestaltete sie besonders festlich gegen frühere Jahre, weil wir eine grössere Klasse waren und die meisten gut singen konnten. Es war üblich, dass der Pfarrer jedem Konfirmanden einen schön farbig gedruckten Konfirmandenzeddel gab. Man mass diesem Zeddel eine besondere Bedeutung zu, denn sie waren inhaltlich verschieden.

Dieser Tag der grossen Freude war aber für mich auch ein Tag schweren Kummers. Was wird mir nun das Leben bieten, wie werd ich mich durchbringen? Ich war kaum mehr als 130 cm gross, unterernährt, schwach und mittellos. Fädeln, Fädeln war mein Los.

Es hätte auch anders sein können. Nach einer der letzten Unterrichtsstunden fragte mich Herr Pfarrer, was ich nachher zu tun gedenke. Aber ich war planlos. Er sagte mir: „Ich habe schon oft darüber nachgedacht und ich habe die Meinung, du solltest ins Lehrerseminar nach Rorschach gehen. Es braucht drei Studienjahre und kostet 300 Franken pro Jahr. Das erste Jahr will ich dir bezahlen! Für die anderen Jahre müsstest du selber aufkommen“. „Ich danke ihnen recht sehr für Ihr Anerbieten, Herr Pfarrer, aber ich weiss nicht wie ich die anderen 600 Franken aufbringen könnte“. „Du hast doch einen vermöglichen Onkel, den Hammerschmied Beusch in Sennwald, der könnte es dir leicht geben“. „Ja, wenn er wollte, aber der weiss ja wie arm wir sind und er hat uns noch nie etwas gegeben, ausser etwa Kaffee, Brot und Butter, wenn wir hie und da einmal zu Besuch eintrafen.“ „Du könntest dich auch um Stipendien bewerben und in der Ferienzeit kollektieren, wenn du gute Zeugnisse aus dem Seminar bringst“. „Herr Pfarrer, ich würde es kaum über mich bringen, betteln zu gehen, lieber will ich mich mit Arbeiten durchs Leben schlagen.“

Wie gerne hätte ich zum Anerbieten des Herrn Pfarrer ja sagen wollen! Aber ich hatte ein geheimes Leiden an mir, das ich ihm nicht sagen mochte und gegen das ich von frühester Jugend gekämpft hatte, umsonst! Ich konnte und durfte es nicht wagen, mit diesem Leiden ins Seminar zu gehen. – Ererbte durch Frost und Unterernährung vermehrte Blasenschwäche lässt sich weder mit schimpfen noch mit schlagen heilen.

Wie leid es mir tat auf das angebotene Glück zu verzichten! Fädeln, fädeln und zeitweise sticken war mein Los.

Die Werdenberger sind ein eigenes Völkchen

 

Episode 15 – „Der neue Lehrer“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugend-erinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Jetzt war leider wieder Ferienzeit. Ich wusste schon was das für mich heisst: Fädeln! Aber es war damals gerade die „Fädlermaschine“ von Saurer Arbon erfunden und in Gebrauch gekommen, der Vater hatte eine solche gepachtet. So war also auch für mich eine Erleichterung eingetreten, mit der Maschine ging es leichter als von Hand. Allein mein Sehnen ging nach der Schule.

Endlich heiss es: Montag Morgen, Beginn der Realschule Frümsen. Der neue Lehrer war von St. Gallen und kurz vorher noch Kantonsschüler, also „neu“. Während der bisherige Lehrer von uns die Antworten schriftdeutsch verlangte, forderte der neue Lehrer Dialekt, was vielen sehr bequem war. Beim alten Lehrer hatten wir im Sommer bei schönem Wetter anstatt Geometrie „Feldmessen“. Einer fasste den Zeichnungstisch, einer die Kreuzscheibe, zwei trugen die Masslatten und mehrere hatten „Jalons“ zu tragen und der Rest blieb leer. Wir wurden in Zweiergruppen aufgestellt und hatten durch das Dorf in geordnetem Marschschritt zu gehen. Ausser Ort durften wir in Gruppen gehen nach Belieben und auch miteinander plaudern.

Beim neuen Lehrer hatten wir schon am dritten Tag Feldmessen und hielten es auch so. Ein Mitschüler gab mir einen Apfel, den ich dann beim Freimarsch essen wollte und auch mit einem Mitschüler plauderte und lachte wie die anderen, aber nichts Böses. Da kam plötzlich der Lehrer, zog mich am Haar und sagte: „Selwia, verworg nöd no a sebem gstohlna Öpfel du choga Gigeri“. Diese Sprache hat mich sehr verletzt und wütend warf ich ihm den Apfel hart an der Nase vorbei und sagte sehr laut: „I hane nöd gstohle“.

Ein Intermezzo gab es einmal beim schriftlichen Rechnen. Er diktierte eine Aufgabe, die ungefähr so lauten mochte: 1 kg Hafer kostet 13 Rp. Ein Landwirt füttert sein Pferd täglich mit 17 kg vom 11. April bis 23. Oktober. Wie viel Hafer frisst das Pferd in dieser Zeit und was kostet er. Dann machte er noch die Bemerkung „Jo, d’Werdeberger gend zwor de Ross nöd so viel Haber“. Päng! Ein Mitschüler hatte heftig ein schweres Buch auf den Pult getätscht. „Was isch do?“ fragte der Lehrer. Der Schüler war bei weitem nicht der Gescheiteste, aber er gab zur Antwort: „Ens got Eu denggi nüt aa, wieviel Haber as mör de Rosse gend. Mör lond üs das nöd sääge“.
… Es mag sein, dass ihm irgend jemand gesagt hatte, die Oberländer seien halt harte Leute, da müsse man grob dahinter. Aber das wäre Irrtum.

Es rückte endlich das Examen heran. Dass ich die 3. Klasse nun nicht mehr besuchen konnte, war mir nicht so herb, als wenn noch der frühere Lehrer da gewesen wäre.

Handmaschinenstickerei – ein Blick zurück

 

„Erinnerungen aus Sicht der nachfolgenden Generation zur Stickerei“: (Ergänzung zu „Kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880

Anfangs Jahrhundert wurde die Handmaschinenstickerei oft als Nebenerwerb zur Landwirtschaft betrieben. Die Kinder mussten schon früh die Garne in die Stickmaschinennadeln einfädeln lernen, um den Erwachsenen bei der Arbeit zu helfen.

Die diversen Sticklokale sind heute zum Teil noch vorhanden, aber umgebaut für andere Verwendungszwecke.

Die Fergger grösserer Stickereifirmen (vor allem aus St. Gallen, aber auch aus der Region) lieferten die Gewebe und das Stickmaterial und holten die fertigen Stickereien wieder ab. Wobei die einen überheblich zur Schau trugen, wie reich sie im Gegensatz zur armen Dorfbevölkerung seien und ihre Zigarren demonstrativ mit Geldnoten anzündeten.

Bis zum ersten Weltkrieg sind über hundert Stickmaschinen in den Sennwalder Dörfern betrieben worden. Nach Erfindung der Schifflistickmaschine waren die Handmaschinensticker nicht mehr konkurrenzfähig. Ab ca. 1925 wurden die Maschinen aus den Lokalen entfernt und verschrottet.

„Wie die ehemaligen Sticklokale später genutzt wurden in Frümsen“:

„Wir Bäckerskinder brachten unseren Kunden zweimal pro Woche das bestellte Brot. Oft hatte ich Probleme mit den Hunden unserer Kunden. Zwei- bis dreimal pro Woche brachten wir auch die bestellten Backwaren zur Brotablage bei KarlsBerta im Grista: Karl Engler betrieb eine Velohandlung im ehemaligen Sticklokal und eine Ecke im Hintergrund war mit Gestellen für die Backwaren vorgesehen. Die Kundschaft bestand vor allem aus den auf Grista und der näheren Umgebung wohnenden Familien.“ (Zitat aus Doazmol Band 2)

stickereihaus

 

„Im Jahr 1922 verkaufte meine Grossmutter als Wittfrau ihre Bäckerei an Robert Ender. Sie kaufte danach das Haus mit angebautem Stall an der Holengass mit der Absicht, aus dem Sticklokal einen Lebensmittel-Laden zu machen. Diese Idee hat sie dann konsequent umgesetzt und das Lokal in ein schönes Ladengeschäft umbauen lassen.“ (Zitat aus Doazmol Band 2)

 

„Alli sind in Turnverein nach em Schuelabschluss (de Turnverein gits sit 1945). Ötschis anders hets denn gär no nöd gee. All Wuche on Obed sinds in Turnverein, das ischt di onzig gmoansam Freiziitbeschäftigung gse. Es ischt e ehemaligs Stigglokal als Turnhalle benutzt worde.“ (Zitat aus Doazmol Band 1)

Teures Schulmaterial

 

Episode 14 – „Schulmaterial für 35 Franken“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Ich hatte Gelegenheit von früheren Realschülern Bücher billig zu kaufen und wies sie dann dem Lehrer vor. Er sagte: „Ja nun, sie sind eben nicht gleich wie die der anderen Schüler, aber du kannst wohl nicht gut die neuen auch noch kaufen, ich will dir diese belassen“. Das betraf die Physiklehre, das bürgerliche Geschäftsrechnen, Welt- und Schweizergeschichte, Naturkunde usw. Aus diesen Büchern konnte ich wenig holen und war auf den Unterricht in der Schule und mein Gedächtnis angewiesen.

Die anderen kauften auch jeder ein neues Reiszeug für ca. 20 Franken und ich hatte ein Bazar-Reiszeug für Fr. 3.30 und ein altes Käppi. Der Thek war von meinem Vater aus Karton selbst hergestellt. Die Bekleidung blieb immer so bescheiden wie mein Wachstum und die Ernährung blieb ebenfalls gleich mangelhaft. Aber das alles machte meiner Lernbegierde keinen Einfluss.

… Die andern Schüler hielten jeweilen die Hand hoch, wenn sie glaubten die richtige Antwort zu wissen. Da ich einen Freiplatz hatte, liess ich auch den anderen den Vorrang und hielt nicht auf, ausser beim Kopfrechnen und nur wenn der Lehrer mich grad anschaute, dann aber zog ich den Finger sofort wieder zurück. Aber er liess mich nicht einfach sein. In allen Fächern forderte er mich ganz unverhofft auf. Dann stand ich auf, legte die Arme übereinander, wiederholte die Frage, gab deutlich meine Antwort und sass wieder ab.

Gegen den Frühling des ersten Schuljahres suchte ich so viel wie möglich auch in den Deutschstunden die Antworten französisch zu geben. Einmal hiess es am Schulschluss: „…. du gibst mir in den Deutschstunden oft französische Antworten und sie sind gut; aber höre, ich darf in den Deutschstunden nicht französische Antworten annehmen, wenn ich verklagt würde, würde ich bestraft.“… „Ich danke Ihnen Herr Lehrer, ich will es in Zukunft unterlassen“.

Einmal gab es ein unliebsames Vorkommnis . Mein Nebenschüler J.O. hätte in der Französischstunde antworten sollen und konnte es nicht, da sagte ich‘s ihm. Der Lehrer war hinter uns. J.O. gab die Antwort, aber der Lehrer fragte „Hast du es selbst gewusst?“ J.O. wurde rot; „nein du hast es nicht gewusst, der Tinner hat dir eingeblasen; an mich gewandt: „Hast du eingeblasen?“ „Ja, Herr Lehrer“. „Du schreibst mir auf morgen hundert Mal: Man soll nicht einblasen“. Die Klasse erhielt auf morgen sehr viele Hausaufgaben, die ich natürlich auch zu machen hatte. Als ich mit diesen fertig war, schlug es Nacht 1 Uhr. Nun kam die Strafaufgabe daran, aber ich war furchtbar müde. Ich probierte, was geht rascher, deutsch oder „il ne faut pas souffler“. Ich schrieb auf den Bogen „Strafaufgabe“, darunter die Zahlen I bis 100 schön untereinander. Nun schrieb ich den Satz einmal deutsch und fünf Mal französisch. Als am Morgen der Lehrer meine Strafaufgabe sah, rief er mich her. „Was musstest du schreiben? Warum hast du’s französisch geschrieben?“ „Es war Französischstunde“. … „Warum hast du nur 5 Mal geschrieben?“ Ich erzählte ihm, dass ich immer bis zehn Uhr fädeln müsse , dass ich um ein Uhr sehr müde war und nicht mehr schreiben konnte. „Nun ja, ich will es dir glauben, geh an den Platz…“. „Ich danke, Herr Lehrer“ sagte ich und atmete tief auf.

Das Examen dauerte bis Mittag 12 Uhr. Dann bekamen wir im Hirschen in Frümsen ein gutes Mittagessen. Nachher hatten wir noch Deklamationen und Lieder vorzutragen und durften auch noch hören, wie die Gastwirtin den Herren Schulräten Lieder vorsang und dazu Klavier spielte. „Die Sonne sank im Westen mit ihr die heisse Schlacht“.

Dann kam die Ferienzeit: Sie war mir fast eine Ewigkeit. Meine Ferien brachte ich am Fädlertische zu. … Ich sehnte mich nach dem Wiederbeginn der Schule. …Es war mir recht wohl zu Mut wieder im lieben Schulzimmer zu sein und den weisen Lehren zu folgen. Leider sollte aber meine Freude bald eine Trübung erfahren. Schon nach wenigen Wochen munkelten einige Mitschüler, deren Väter mehr wussten als meiner, unser Reallehrer gehe fort, er habe die Stelle gekündigt. Ich kam in Kummer und es ging auch nicht lange, da musste ich wieder dableiben. Als dann die anderen draussen waren, sagte der Lehrer: „Tinner, es tut mir leid, du schuldest mir für Schulmaterialien etwa 35 Franken, und ich kann sie dir leider nicht schenken, weil ich selber auch nicht vermöglich und zudem hier nur schwach belohnt werde.

Stipendien doazmol

 

Episode 13 – „Freiplatz an der Realschule“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Als es im Frühjahr 1893 gegen das Examen ging, fragte der Lehrer einmal, wer in die Realschule gehen werde, solle ihm das melden, damit er das nötige Zeugnis machen könne. Leider durfte ich mich nicht melden, denn meine Eltern erklärten, dass sie mich nicht entbehren können; ich müsse in die Ergänzungsschule gehen und in der freien Zeit fädeln. Dabei blieb es trotz meinem ständigen Bitten und obwohl es mir während der früheren Jahre versprochen war, wenn ich fleissig fädle. Aber das nächste Jahr könne ich dann gehen. Also vertröstete ich mich und fädelte weiter. Aber etwa von Neujahr an merkte ich, dass die Eltern nicht an diese Möglichkeiten glaubten, im kommenden Frühling mich gehen zu lassen. Das machte mich stutzig und traurig. Ich sah ja wohl ein, dass es ihnen schwer gehen wird und dass sie meine Hilfe sehr missen müssten, aber ich überlegte mir auch, was soll denn aus mir werden? Ich fasste den Entschluss: Ich setze es einfach durch! Diesen Frühling will ich gehen, das ist für mein Leben nötig. Mein Verhalten bis zum Frühling trug mir viele Schläge und dem Vater auch viel Verdruss ein. Als dann im April ausgeschrieben war „Realschule Frümsen – Aufnahmeprüfung Montag, den….“, da war der vorherige Sonntag grösster Kampf. Mehrmals Schläge mit dem Strick und „wit jez recht toa“? „Wenn i tar i d’Realschuel toni recht und sos nöd“.

….Endlich um halb neun Uhr kam’s heraus: „Jo nu, wenn’d glich nöd wit recht toa, isch es no gschider, du göngist, aber du muest mr all Obed fädle bis em zehni und um en Friplatz muest selber froga“. „Jo da toni alls, i danka“.
Ich war nur mit Hose, Hemd und Weste bekleidet und barfuss, es war schon dunkel, aber ich sprang so schnell ich mochte das ganze Dorf hinab zum Pfarrhaus. Zog hastig am Glockenzug, da kam Marie, des Pfarrers Schwester: „Was ist?“ „I möchte gern zum Herr Pfarrer“. „Jo jez isch es z’spoot“. Aber der Pfarrer hatte mich gehört und gekannt, kam und fragte nach meinem Begehr. „Herr Pfaarer, i gängt gern i d’Realschuel“. „So, so, da ist recht, i ha scho lang denkt du söttist go“. „Aber i ha ko Zügnis vom Learer“. „Das macht nichts, komm du nur am Morgen“. „Jo gern, aber de Vater het gsoat, i möss selber um en Friplatz fröga“. „Ja, ja, Christian, do will ich scho defür sorga, gang nu heim und schlof fröhlich.“ „I danke ihne vielmol Herr Pfaarer, guet Nacht“.
Mit welcher grossen Freude und sogar noch einigem Stolz eilte ich nach Hause und meldete alles. Sogar der Vater zeigte noch Freude über meine Fröhlichkeit. Ich erneuerte ganz unaufgefordert mein Versprechen, dass ich dann schon fleissig fädeln wolle jeden Abend bis zehn Uhr.

Das Aufstehen am frühen Morgen ging mir noch selten so leicht wie an diesem Montag. Ich rüstete mich so festtäglich als es mir armen Büblein eben möglich war, nahm Bleistift, Federhalter und eine Rösslifeder und auch noch ein angefangenes Schreibheft mit. Von Salez war ich der einzige Kandidat. Vom Elternhaus bis zur Schule wären es ca. ¾ Stunden, aber ich brauchte nur ca. eine halbe Stunde.
Auf dem Platz beim Realschulhaus standen schon einige Gruppen Knaben. Ich merkte es bald: Da sind Sennwalder, da sind Saxer und da sind Frümsener. Etwas entfernt standen noch zwei Mädchen und ich stand ganz allein und endlich wurde die Haustüre von innen geöffnet; ein kleiner, junger Herr mit schwarzer Brille rief freundlich „kommt herein“.

Das war nun mein neuer Lehrer. Wie freute ich mich über dieses schöne Schulzimmer! Es standen da aber einige Männer und Herr Pfarrer Sonderegger von Salez. Das war der einzige Mensch, den ich kannte. Es waren zwei Reihen Schulbänke. Eine Reihe waren Dreiplätzer und die anderen Zweiplätzer. Der Lehrer hiess uns Platz nehmen; die Mädchen in die vorderste Bank, anschliessend die kleineren und dann die grösseren und zu hinterst die grössten Buben. Der Lehrer hielt eine kurze Ansprache, verteilte Papierbogen und gab uns dann Aufgaben. Wir mussten uns nummerieren auf 4. Dann gab es Aufsatzaufgaben, vier verschiedene Themen. So war also abschreiben ausgeschlossen. Schriftliches Rechnen fand ebenfalls auf selbständigem Arbeiten statt. Es gab dann eine Pause zum Abtreten auf den Spielplatz. Unterdessen wurden wahrscheinlich die Arbeiten geprüft und nachher gab es noch Kopfrechnen und Sprach-Prüfungen. Es wurde schon fast 12 Uhr, da hiess es plötzlich: Aufpassen, die Schule ist aus. Der Herr Pfarrer hielt eine kurze Ansprache. „Ihr habt Eure Aufgaben gut gemacht und ihr seid jetzt Realschüler. Seid immer fleissig und führet euch recht anständig auf in der Schule und auch ausser derselben. Seiet auch immer dem Herr Lehrer recht folgsam. Es haben hier zu bleiben:“ Er nennt ca. 4 Namen, zuletzt auch mich.

….. Zuletzt kam ich dran, es war mir bang geworden. Wenn auch ich noch abgewiesen würde? Diese Schmach! Aber es hiess: „Du hast die Sache gut gemacht, die Prüfung gut bestanden und bist also auch ein Realschüler. Wir haben beschlossen, dir auch den Freiplatz zu gewähren. Wir müssen noch wissen, ob du auch die Schulmaterialien frei haben willst oder ob du sie bezahlen kannst.“ Ich glaubte nicht so frech sein zu dürfen und die Lehrmittel auch noch gratis zu wünschen und sagte, „ich werde sie bezahlen“. – Das war dumm und brachte mir später noch einige sehr hinderliche Unannehmlichkeiten.

Das Dorf brennt

 

Episode 7 – „Brand in Rüti-Moos“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

Die folgenden Schuljahre gingen ihren Lauf. Ziegen hüten, Schule gehen, fädeln und seltener irgend eine andere Arbeit. Im Jahre 1890 musste ich jede Woche nach Sennwald zu nahen Verwandten als Fädlerbub gehen und auch „Kindsmagd“ sein. Die Frau war die jüngste Schwester meiner Mutter; sie und ihr Mann hatten viel bösen Streit.

Am Eidg. Bettag 1890 brannte bei heftigem Föhn Rüti-Moos. Als ich dann am Montag nach Sennwald kam, sagte die Tante: „Soa, du chast jez gaad of Rüti ei go dr Frei sueche, er ist am Samstig of Altsteta ei go dr Zahltag hola und ist äll no nöd haa cho. Jez wird’r woll z’Rüti un sii und s’Geld versoffa ha, de Glünggi.“
Ich war barfuss und nur mit Hose und Hemd bekleidet. Das ganze Dorf Rüti lag in dickem Rauch und grossem Unglück. Wenige Meter von verbrannten Häusern sah ich jammernde Frauen mit ihren Kindern in Wiesen unter Bäumen.
Bei den Feuerwehren sah ich auch meinen Vater mit rauchverröteten Augen und ermüdet; sie hatten am Bettag die ganze Nacht und auch noch den langen Morgen gearbeitet.
Den Vetter Frei aber fand ich nicht.

Der Fädler-Bub brilliert in der Schule

 

Episode 3 – Der erste Schultag: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Mein Vater hatte also eine 6/4 Handstickmaschine. Schifflistickmaschinen gab es damals noch nicht. Wie meine älteren Geschwister musste auch ich fädeln lernen und brachte es schon im Alter von 4 Jahren auf eine ordentliche Fertigkeit. ….. Wir Geschwister fädelten also, man könnte sagen, fast um die Wette. Ganz besonders meine um 5 Jahre ältere Schwester Anna war sehr froh um meine Mithilfe, während der älteste Bruder Johann sehr oft schon als Schulknabe auf der Stickmaschine stickte „wie ein Grosser“. Der Vater war eben oft abwesend als Spengler arbeitend und brachte über seinen eigenen Unterhalt hinaus wenig für uns auf.
Nach mir kamen noch mehrere Geschwisterchen, von denen nur das anno 1885 geborene Mädchen Ursula „davon kam“, während vier oder fünf tot zur Welt kamen oder nur wenige Stunden lebten. Es geht daraus hervor, dass eben die Mutter oft „krank“ war, so dass Anna das Hausmütterchen zu spielen hatte. Sie war, trotz aller Not, ein ausserordentlich gesundes, starkes Mädchen und liebte Ordnung und Reinlichkeit in überaus mustergültiger Weise. Sie wusch und „strählte“ uns Buben und stellt uns auch auf robuste Art „in den Senkel“. Das gab manches „Familienfest“.

Mein erster Schultag im Mai 1886 bleibt mir noch im Gedächtnis. Von 1-4 Uhr war Schule für die ersten 4 Klassen. Wir waren also tief „beschäftigt“ mit Bölleli und Strichli machen. Ich hörte allerdings mit Interesse auch den älteren Schülern zu. Die vierte Klasse hatte gerade Kopfrechnen. Da war ein grosser Hans dabei, den der Lehrer fragte: „Hans, was ist 17 und 17?“ In weinerlicher Stimmung erfolgte zuerst „17 und 17 = 17“, dann noch weinerlicher „17 und 17 = 7“. „Dumms Züüg!“ war die Antwort des Lehrers.
Ich rief mit meinem dünnen Stimmchen laut „17 und 17 = 34“. Der Lehrer sprang vor: „Wer het do grüeft“. Alle Erstklässler zeigten auf den Fehlbaren. „So du? Chomm emol do füra“. Mir ward Angst. Der Lehrer stellte mich auf seinen Stuhl und rief: „Hans chomm au do füra“. Dann sagte der Lehrer: „So Christeli sägs jez em Hans lut i d’Ohre’n ina“. Ich sagte es laut. Nachher fragte mich der Lehrer „Wieso weisst du das?“ „Jo, i moss halt fädla, en Topf het 17 Nodla, zwe Töpf hond 34, drei Töpf onaföfzg Nodla, i woass no mea.“
Der Lehrer lachte nicht, er machte ein ernstes Gesicht, gab mir einen „Föfer“ und sagte: „So, so, du bist au so en’arms Fädlerbüebli“.