1826 zum Thema Strassen

Seit die Strassen überall im Lande [Appenzell] hergestellt und fahrbar gemacht worden, werden die Landesprodukte nicht mehr wie sonst auf Saumpferden, sondern mehr auf der Achse verführt, und dadurch hat die Zahl der Pferde selbst abgenommen. Hie und da begegnet man indess noch solchen Zügen von Saumpferden, welche mit farbigen Harzdecken, mit Schellen, und zu beiden Seiten mit Fässern voll Butter oder Käse behangen hintereinander einherziehen. …

Eine wohlerhaltene fahrbare Landstrasse zieht aus dem Rheintal von Altstetten über die Anhöhe am Stoss herauf durch das Dorf, und über den Platz nach der vier Stunden von Gais entfernten Stadt St. Gallen…..

Während Gegenwärtiges gedruckt worden, zeiget die Neue Zürcher Zeitung (Nr. 10. vom 4. Februar 1826) an, dass die Kommunikationsstrasse von Lichtensteig über Wildhaus nach dem Rheinthal, …, bereits projektirt, und der Ausführung nahe sey. — Ein neues Verdienst, welches sich in diesem Fall die St. Galler Regierung um das öffentliche Wohl erwirbt!

(Auszug aus „Gais, Weissbad und die Molkenkuren im Canton Appenzell“ von Fr. K. von Kronfels, 1826)

Von alten Wegen und Stegen

(Teil 2 der vierteiligen Artikelserie zum Thema Verkehrswege)

Auszug aus dem Appenzeller Kalender Ausgabe 1914, Autor Sal. Schlatter:
Saeumerzug Gais

In der Schule hörten wir als Kinder immer mit besonderem Vergnügen von der Völkerwanderung erzählen, wie da aus dem Norden ein grosser Heerzug kam, voraus die blonden Krieger, hoch zu Ross, dann die endlose Reihe der Wagen, mit knarrenden Rädern aus einem dicken Brett, überdeckt mit einem groben leinenen Tuch, unter dem sich auf Bärenhäuten die Kinder kugelten und der Hausrat lag, gezogen von starken Ochsen. Wie in der Nacht die Wagenburg aufgestellt und die Lagerfeuer angezündet wurden, und wie mit starker Faust das Land erobert und die Römer und Ureinwohner entweder getötet, vertrieben oder unterjocht wurden. Wie sich die allemannischen Schaaren dann allmälig in unsre Bergtäler hinein verteilten, den Wald rodeten und brannten, das Strauchwerk „schwendeten“ und so den Anfang zur Wohnlichmachung unserer Voralpengegenden machten.
Im Ganzen und Grossen stimmt dieses Bild auch, soweit diese Schaaren durch flachere Gegenden oder auf den von den Römern in vielhundertjähriger Kulturarbeit angelegten Heerstrassen ziehen konnten. Diejenigen aber, die sich unsre Appenzeller Täler und Höhen, das Toggenburg und andere ähnlich gebirgige Gegenden zu ihrer neuen Heimat erwählten, die mussten schon etwas bescheidener einziehen. Da führten nirgends schöne Römerstrassen hinein. Dichter Wald und wildes Gestrüpp deckte noch den grössten Teil des Landes, höchstens ein paar schmale Fuss- und Viehpfade wanden sich mühsam hindurch. …

… [im Jahr 614] … Es muss also schon damals ein Weg über die Saxerlucke bekannt gewesen sein und offenbar als direkte Verbindung vom Oberland, vielleicht auch vom Arlberg und Chur nach Konstanz gedient haben. Es ist überhaupt das merkwürdige für uns, dass die alten Wege fast überall die Täler mieden und über Gräte und Sättel führten. Sie suchten einerseits die kürzeste Linie von einem Ort zum andern, unbekümmert um die Bequemlichkeit, andrerseits vermieden sie die steilen Abhänge und Talwände wegen ihrer Gefährlichkeit und die Talgründe wegen den noch oft vorhandenen Sümpfen und Ueberschwemmungen. Die bequemste Linie, ohne starke Rücksicht auf die natürlichen Schwierigkeiten, zu suchen, blieb erst der technisch geschulten Neuzeit vorbehalten. …

… ein regelmässig reger Verkehr entstand. Dieser brauchte Wege. Zwei starken Motiven entsprang dieser Verkehr und mit ihm das Verlangen nach Wegen: dem religiösen Bedürfnis und dem Handel. … So entstanden Kirchenwege, auf denen nicht nur der gewöhnliche Kirchgänger und der Priester auf dem Versehgang, sondern auch Prozessionen und Leichengeleite ziehen konnten. Der Handel war noch klein und auf wenige Gegenstände des täglichen Bedarfes beschränkt. Noch sorgte das Haus für das meiste selbst. Den Hafer zum täglichen Habermus und die Brotfrucht pflanzte man neben Rüben und Gemüse auf dem eigenen Acker. Die Kleidung spann und wob man aus dem eigenen Flachs und Hanf und aus der Wolle der Schafe. Das Haus und die notwendigen Geräte erstellte man sich eigenhändig oder mit Hülfe der einheimischen Handwerker. So musste nur das eingeführt werden, was das Land nicht selbst erzeugte, vor allem Eisen und eiserne Werkzeuge und Waffen, Salz, Wein, etwas Spezereien und dergleichen. Ausgeführt wurden dagegen die überschüssigen Landesprodukte, Käse, Honig, Häute, Flachs und bald auch Garn und Leinwand.

Aller dieser Verkehr aber geschah durch viele Jahrhunderte ausschliesslich zu Fuss oder zu Pferd, und die Warenbeförderung entweder auf dem eigenen Rücken oder auf demjenigen des Saumtieres. Dementsprechend waren die Wege entweder einfache Fusswege, … oder Saumpfade. Diese waren noch sehr wenig kunstgerecht angelegt, über Stock und Stein geführt, ohne Seitengraben. Die scharfen Hufeisen der Tiere hieben den Grund auf, die Wasser schwemmten ihn zu Tal, so dass die Wege im Lauf der Jahrhunderte zu tiefen Rinnen, richtigen Hohlwegen wurden, so tief, dass an manchen Stellen der Reiter auf seinem Pferd kaum über die hohen Ränder wegsah. Sumpfige, grundlose Stellen waren etwa mit runden Prügeln belegt. Prügelsuppen nannten wir als Kinder die letzten noch vorhandenen Reste. An steilen Stellen wieder waren sie mit unregelmässigen Steinplatten gepflastert, was zwar solid und haltbar war, aber keineswegs sehr angenehm zu begehen. …

Diese äusserst primitiven Verkehrsverhältnisse hatten ihre zwei Seiten. Sie verschlossen das Land gegen feindliche Angriffe und … machten seine Bewohner zu ausgezeichneten Fussgängern. … Es gewöhnte sie daran, grosse Lasten auf dem eigenen Rücken zu transportieren. … Sie erleichterte auch die Besiedlung der mühsamsten Höhen und der entferntesten Tälchen, wer auch von Dorf zu Dorf nicht bequem kutschieren konnte, dem machte es wenig aus, noch eine halbe Stunde weiter zu gehen.

… Die Schattenseiten zeigten sich allerdings ebenfalls, je weiter die Zeiten fortschritten, um so mehr. Als sich das Land vom 16. Jahrhundert an immer mehr der Weberei und dem Handel zuwandte, war die Ausfuhr der Fabrikationsprodukte sehr mühsam. Und als sich die Arbeit im Webkeller und in der Schreibstube gar lohnender erwies, als der Ackerbau, so dass dieser immer mehr zurückging, da kamen erst die Schwierigkeiten. Die Einfuhr des ganzen Bedarfes an Korn zu Brot bedurfte doch besserer Wege, und manche schwere Hungersnot hing mit dem Mangel derselben zusammen. Und dennoch musste der Anstoss zur Verbesserung von aussen her kommen.

(Fortsetzung folgt)

Der Reichtum der Mundart

(Auszug aus dem Appenzeller Kalender Ausgabe 1907, Titel „Üseri Puuresprooch“, Autor Dr. J. Vetsch, Redaktor am schweizerischen Idiotikon)

Die vielen Fremden, die alljährlich unser schönes Schweizerland besuchen, sind erstaunt über die ehrenvolle Stellung, die bei uns die Mundart einnimmt. Während sie andernorts nur noch im Verkehre der unteren Stände unter sich lebt, ist sie bei uns noch allgemeine Umgangssprache zwischen Gebildeten und Ungebildeten, Hoch und Niedrig, Reich und Arm. In dieser Tatsache liegt eine unserer schönsten nationalen Eigenheiten, die zu bewahren jedem echten Schweizer ans Herz gelegt werden sollte. …

Was gibt es Ehrwürdigeres, was ist inniger mit dem ganzen Wesen eines Volkes, seinem Ursprung und seiner Geschichte verknüpft, als die Mundart? Sie ist die Sprache der Kindheit, die Sprache unserer Väter….

Laute und Wörter haben sich von Generation zu Generation übertragen, von Mund zu Mund sind sie durch die Jahrhunderte gewandert auf einer langen, lebendigen Brücke bis zu uns. Wie das Kind sie von seiner Mutter, seinem Vater gehört hatte, so lernten es später wieder seine Kinder von ihm. Allein auf dieser langen Wanderung, wo die Träger immer wechselten, ist die Sprache nicht unverändert geblieben; sie hat sich so verändert, dass wir heute Mühe hätten, uns mit unseren Vorfahren vor tausend Jahren zu verständigen….
Vor allem floss die Rede zu jener Zeit viel langsamer dahin; das zeigen die vollen Laute a, o, i, u, die in den End- und Nebensilben gesprochen wurden. Schon einige Jahrhunderte später sind sie zu e abgeschwächt und in unserer heutigen Mundart vielfach ganz weggefallen. Wir sagen „hüt“ für „hiutu“, „regnet“ für „regenoot“, „Bömm“ für „Bauma“. Die Entwicklung der einzelnen Laute (Buchstaben) ist aber nicht eine regellose, sondern es lässt sich bei näherem Zusehen, wie bei den Veränderungen der Natur, eine bestimmte Gesetzmässigkeit erkennen. … war aber die Entwicklung nicht überall die gleiche… so finden sich überall, allerdings mehr oder weniger, Unterschiede in der Mundart sogar von Gemeinde zu Gemeinde.
Diese Sprachspaltung ist begründet in der geschichtlichen Entwicklung einer Gegend. Was Jahrhunderte lang kirchlich und politisch zusammengehörte, bildete ein Verkehrsgemeinschaft für sich und da war die Gelegenheit zu gesonderter sprachlicher Entwicklung gegeben, da eben ein reger Verkehr mit dem benachbarten Gebiete fehlte und ein sprachlicher Ausgleich daher nicht möglich war….

Wenn man den Lautstand einer Gegend ganz genau aufnimmt, d.h. an möglichst vielen Punkten die Aussprache aller Wörter abfragt,…, so erhält man die sprachlich zusammengehörigen Gebiete und für jeden Unterschied zwischen ihnen ganz genau die Grenzlinie, bis wohin man so sagt, und wo wieder anders, z.B. wo „nüd“ und wo „nöd“, oder wo „g’seit“ und wo „g’sääd“ oder „g’soat“ usw. …

Jedoch nicht nur die Aussprache der Wörter hat sich geändert, sondern oft auch deren Bedeutung und hier zeigt sich nun der Reichtum der Mundart gegenüber der Schriftsprache. …

Heute tut es wirklich not, alle die mundartlichen Schätze durch Aufzeichnung zu bergen. Jeder fühlt den zerstörenden Einfluss, den Schule und Verkehr auf die Volkssprache ausüben. Die Kinder reden nicht mehr wie die Eltern, geschweige wie ihre Grosseltern; mit jedem Greise, der ins Grab sinkt, verschwinden auf immer kostbare Überlieferungen, die in ihren Wurzeln viele Jahrhunderte zurückgehen.

Immer stärker werden die Einflüsse der Schriftsprache. Und doch wird uns diese nie die Mundart ersetzen können.
Eine allgemeine deutsche Schriftsprache gibt es erst seit ein paar Jahrhunderten und sie beruht auf der Mundart einer einzelnen Gegend, die dadurch allgemein geworden ist, dass Luther in ihr geschrieben hat. Durch seine Bibelübersetzung fand sie nach und nach überall Eingang. Auch die frühere Schriftsprache der Schweiz mit ihrem stark schweizerdeutschen Charakter wich dem Gemeindeutsch, und es ist wohl gut so.

Gewiss ist es heute für Jeden von grossem Wert für sein Fortkommen, wenn er in der Schule die Schriftsprache in Wort und Schrift möglichst beherrschen lernt. Allein diese wird uns nie ins Herz wachsen wie die Mundart, die viel reicher ist zum Ausdruck unseres Denkens und Fühlens. Geben wir sie wenigstens nicht leichtsinnig preis, sondern behalten wir ihr unsere Liebe und Achtung und tun wir unser Möglichstes, das mit ihr schwindende kostbare Gut durch Sammlung vor dem vollständigen Untergange zu bewahren.

interne Links: Wörtersammlung, Tonaufnahmen

Vom Werden und Vergehen des Sämbtiser- und Fälensees

Artikel im Appenzeller Kalender 1939 betreffend Untersuchungen der Abflüsse der beiden Seen im Alpstein.

Sämtisersee 1939

Der Artikel „Vom Werden und Vergehen des Sämbtiser- und Fälensees“ hier als PDF

Ganz am Schluss der letzten Seite findet sich übrigens noch ein herrliches Gedicht.