Archive for August 2015

 
 

Harmlose/r Wanderer

(Quelle: „Wanderstudien aus der Schweiz“, Eduard Osenbrüggen, Schaffhausen, 1871)

Von der Eisenbahnstation Sevelen zieht sich eine Viertelstunde lang eine grade Strasse bis zu der Rheinfähre hin. Fast kann man hier Mitleid haben mit dem Rhein, der, noch so nahe seiner „eiskristallenen Wiege“, gar nicht mehr den frischen Jugendmuth zeigt, sondern sich langweilt und träge durch Steingeröll und Sand hinzieht, wenn nicht dann und wann ein rascher Bergbach auf ihn zuspringt und ihn in Bewegung setzt.

Wir sind mit der Fähre ans rechte Rheinufer gekommen, wo ein uniformirter Zollwächter aus seinem Häuschen tritt, um uns anschaulich zu machen, dass wir in das Land der deutschen Ordnung und Vigilanz gekommen sind. Da er uns gleich als ganz harmlose Wanderer erkennt, so geht er in seine Bude zurück, wirft uns aber einen verdriesslichen Blick zu, denn wir haben ihn in seiner Ruhe gestört.

… weil dem Glücklichen keine Stunde schlägt

(Quelle: „Wanderstudien aus der Schweiz“, Eduard Osenbrüggen, Schaffhausen, 1871)

„Es ist ja kein Dörflein so klein, ein Hammerschmid muss darin sein“. So heisst es in dem bekannten Studentenliede, aber der Dichter dieses Reims kannte Gretschins im Bezirk Werdenberg nicht, wo ich einige Tage rechten Dorffriedens genoss.
Gretschins hat keinen Hammerschmid und obgleich es ein Kirchdorf ist, fehlt im Kirchthurm die Uhr. Zwei wichtige Zeitmomente des Tages werden den Dorfbewohnern, die im Felde arbeiten, dadurch kenntlich gemacht, dass der Messmer die Glocke im Thurm anzieht, die Mittagszeit und wenn die Einkehr zur Abendruhe vergönnt ist.
Man darf sich aber Gretschins, wenn es zwar keinen Hammerschmid und keine Kirchenuhr hat, durchaus nicht als ein ärmliches Bergdorf denken; es will eben nur ein Ort idyllischer Ruhe sein und vielleicht sträubt man sich gegen eine Kirchenuhr, weil dem Glücklichen keine Stunde schlägt.