Archive for Juni 2012

 
 

Karussel und Zuckerwatte

 

Episode 12- „Jahrmarkt um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Zwei Mal im Jahr fand im Dorf ein Warenmarkt statt, der Jahrmarkt. Auch dieser Tag war für uns Kinder ein kleiner Festtag.
Wir bekamen unter dem Jahr kein Sackgeld, aber am Jahrmarktstag gab uns Mutter einen Einfränkler mit der Bemerkung: „ S’vorig bringsch denn wieder!“ Und es kam vor, dass ich ihr noch einen Zwanziger zurückbringen konnte! Mit diesem Fränkler durften wir allein auf den Jahrmarkt. Da gab es ganz viele feine und schöne Sachen zu kaufen. Bei Vielem mussten wir uns mit Anschauen begnügen, aber am Magenbrotstand kaufte ich gerne eine Zuckererdbeere oder ein Päckli Zuckerzigaretten, die schmeckten so fein.

Beim Spielwarenstand kaufte ich mir mal einen Propeller, den man mit einem Ring an einem gewundenem Metallstäbchen kräftig in die Höhe schieben musste, dann flog er weit davon. Auch Blechvögel, die man mit einem Schlüssel aufziehen konnte, damit sie auf und ab wippten, waren schöne Jahrmarktsandenken.

Beim Dorfschulhaus stand eine Reitschule (Karussell) mit hübsch bemalten Holzpferdchen. Da freuten wir uns an einer Fahrt bei schöner Musikbegleitung. Ich meine mich zu erinnern, dass die Reitschule von grösseren Schuljungen kräftig angeschoben wurde. In späteren Jahren löste das motorbetriebene, moderne Karussell die Rösslireitschule ab. Da fuhr man die Runden im Feuerwehrauto, auf einem Töff oder in einem Schiff.

Auch bei den Süssigkeiten gab es Neues: die Zuckerwatte!

Einmal fuhr Mutter ohne uns zum Jahrmarkt. Ich wusste, dass es dort auch Südfrüchte zu kaufen gab. So bat ich meine Mutter, mir doch bitte eine Orange mitzubringen. Wir hatten ja fast das ganze Jahr über Äpfel zum Essen, man kaufte keine teuren Früchte im Laden.
Als Mutter sich auf dem Velo unserem Haus näherte, hielt sie in der Hand eine Orange hoch. Wie freute ich mich, aber oh weh, es war keine Orange, sie hatte für uns einen kleinen, orangefarbenen Ball gekauft. Sie dachte wohl, dass so alle etwas Neues zum Spielen haben, eine Orange wäre ja in kurzer Zeit verschwunden gewesen.

Laubsäcke und Eisblumen

 

Episode 10 – „Unsere Betten um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Unsere Betten hatten noch keine Matratzen. Wir schliefen auf einem Laubsack, der alle zwei Jahre neu gefüllt wurde.

An einem trockenen Spätherbstmorgen machte sich unsere Mutter auf zum Buchenwald an der Bunzenhalde. Dort lag das trockene Buchenlaub dicht auf dem Boden. Es wurde in grosse Säcke gestopft und zu Hause in frische Laubsäcke umgefüllt.
Das alte, zerbröselte Laub brauchten wir noch als Streumaterial im Kuhstall, bevor es dann endgültig ausgedient hatte und auf dam Miststock landete.
Die leeren Laubsäcke wurden gewaschen, zum Trocknen aufgehängt und später im Schrank versorgt, um sie dann in zwei Jahren wieder hervorzuholen, wenn es wieder galt neues Laub einzufüllen.

Wie freuten wir Kinder uns auf den Abend!
Da gab es beim Zubettgehen keine Delle mehr, ein vollgestopfter Laubsack war in unseren Betten. Wie war das ein Vergnügen sich auf die prallgefüllten Säcke zu legen. Da musste man aufpassen, dass man nicht gleich wieder hinunter purzelte. Unsere neue Unterlage fühlte sich warm an, es war herrlich auf einem Barchentleintuch darauf einzuschlafen.

Im Winter hatten wir auch Barchentoberleintücher, eine Wolldecke und das Federbett. Dazu gab uns ein Kirschensteinsack, den wir aus dem warmen Ofenrohr holten, wohlige Wärme. Das war auch notwendig, hatten wir doch ungeheizte Schlafzimmer.
Wenn es sehr kalt war, entstand über Nacht von unserem Atem Rauhreif am Oberleintuch. Trotz den Vorfenstern, die wir während der kalten Jahreszeit montiert hatten, zierten am Morgen wunderschöne Eisblumen die Fensterscheiben, Kunstwerke des Winters, wie man sie heute nirgends mehr findet.

Badezimmer um 1950

 

Episode 9 – „Unser Badezimmer um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Unser Badezimmer befand sich unter freiem Himmel. Als Badewanne nutzten wir den Brunnentrog vor dem Stall. Dieser diente aber in erster Linie als Durstlöscher für die Kühe, wenn sie von der Weide zurück in den Stall kamen, oder wenn sie im Winter zum Trinken hinausgelassen wurden.

An heissen Sommertagen wurde der Betontrog umgenutzt. Schon am Morgen liess ihn Mutter mit Wasser voll laufen. Bis am späten Nachmittag hatte das Wasser eine angenehme Temperatur, sodass wir ein Bad nehmen konnten. Mit grosser Freude vergnügten wir uns! Wir planschten und spritzten einander an. Nebenan scharrten, pickten und gackerten die Hühner und auf der Wiese graste das Vieh.

Unsere tägliche Katzenwäsche und das Zähneputzen fanden am Schüttstein in der Küche statt. Jeweils am Sonntag musste die Körperpflege gründlicher sein.
Bis wir gross genug waren, um uns allein gründlich zu waschen, nahm uns Mutter „in die Kur“. Mit Waschlappen und LUX-Seife wusch sie uns Gesicht, Hals und Ohren, aber auch die Arme bis unter die Achseln. Dann waren wir wieder sauber!

Den Abort erreichten wir vom Hausgang aus über vier Treppenstufen. Es war ein Plumpsklo. Als WC-Papier dienten Zeitungsabschnitte. Mit einem Riegel wurde die Türe verschlossen. Mehrmals passierte es, dass eines der Kinder den Riegel nicht mehr zurück schieben konnte. Jetzt war Vaters Hilfe nötig. Er stieg auf einer Leiter zum schmalen Fenster hoch. Mit einer langen Stange, an deren Ende eine Hakenschraube befestigt war, konnte er den Riegel zurück schieben und uns befreien.

Unter jedem Bett stand ein Nachtgeschirr. Dieses leerten wir am Morgen ins Plumpsklo. Dabei konnte es passieren, dass so ein Nachthafen in den Güllenkasten fiel. Auch da musste Vater helfen. Mit einer Schüttrute, die wir zum Obst schütteln brauchten, angelte er das versunkene Stück aus dem dunklen, stinkigen Verliess.

Haus Oberfeld

Haus Oberfeld

Grosse Wäsche beim Grabser Mühlbach

 

Episode 8 – „Grosse Wäsche um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Jeweils am Sonntagmorgen legte uns Mutter frische Wäsche bereit. Diese trugen wir dann die ganze Woche. Auch die Kleider wechselten wir nur wöchentlich. Die Sonntagskleider wurden am Montagmorgen wieder schön im Schrank versorgt.
Bei einer so grossen Familie wuchs der Wäscheberg kontinuierlich an. Unsere Stofftaschentücher und die gestrickten Wollsocken und -strümpfe wuschen wir von Hand. Dazu stellte die Mutter eine kleine Gelte mit warmem Seifenwasser in der Küche auf den Hocker, und ich war schon bald einmal gross genug, diese Sachen zu waschen. Windeln konnten wir auf dem Holzherd in einem grossen Wäschehafen sieden. Spülen mussten wir sie wiederum von Hand, erst mit warmem Wasser aus dem Wasserschiff und dann noch zwei Mal mit kaltem Wasser.
Alle vier Wochen hatte Mutter grosse Wäsche. Die Bettwäsche wurde gewechselt, was von unseren acht Betten allein schon einen riesigen Berg ergab. Dazu kam die Küchenwäsche, die Frottetücher und Waschplätze. Vaters Stallhosen kamen dazu, die meist sehr dreckig waren. Solch schmutzige Wäschestücke musste Mutter in einer guten Seifenlauge einweichen.

Wir hatten keine Waschmaschine, aber im Dorf gab es drei öffentliche Waschküchen. Mutter liess immer in der Waschküche im Oberdorf waschen. Sie bestellte rechtzeitig die Waschfrau. Für uns war es immer „Gristgatter-Mreiä“ Am Vorabend musste Mutter die Wäsche in grossen hölzernen Gelten, auf einem Handwagen, ins Oberdorf ziehen. Auf dem Wagen war auch das Brennholz, das benötigt wurde um den Waschhafen zu heizen – dies war eine Last.

Den Handwagen mit der Wäsche stellten wir in den Stall bei Grossmutter. Am nächsten Morgen früh, zwischen vier und fünf Uhr, begann Mreiä in der Waschküche mit der Arbeit. Zuerst musste sie Feuer machen um das Wasser in den zwei Waschhafen zu erhitzen. Darin wurde die Wäsche gesotten, zuerst die Weisse, dann die Bunte und zum Schluss die Stallkleider. Dann kamen die Stücke in eine Waschmaschine, die vom Wasser des Mühlbaches angetrieben wurde. Danach wurde in zwei Spültrögen gespült, dazu konnte warmes Wasser vom Waschhafen hinübergeleitet werden. Die letzte Spülung mit kaltem Wasser erfolgte im fliessenden Wasser des Mühlbaches. Ich erinnere mich gut, wie die weissen Leintücher vom strömenden Wasser fast mitgenommen wurden, wie Mreiä sie festhielt und immer wieder zurück zog und wieder mitreissen liess, dies drei bis vier Mal, dann war die Wäsche bestimmt klar gespült. Unsere Mutter half an diesen Waschtagen oft mit, sofern es die anstehenden Arbeiten in der Landwirtschaft zuliessen.

So gegen Mittag war die anstrengende Arbeit getan. Ich weiss nicht mehr genau, welchen Stundenlohn die Waschfrau bekam. Ich meine mich zu erinnern, dass sie für die ganze Arbeit nur 4.50 Franken verlangte. Wusch sie an einem Tag für drei bis vier Familien so kam für sie doch ein schöner Betrag von fast 20.- Franken zusammen.
Mutter holte die saubere Wäsche ab und hängte sie zu Hause zum Trocknen auf. Bei schönem Wetter spannte sie in der oberen Wiese das lange Wäscheseil, in der kalten Jahreszeit oder bei schlechtem Wetter hing die Wäsche in der Oberdiele (Estrich), bis sie trocken war.

Wäsche trocknen

Wäsche trocknen