Archive for Mai 2012

 
 

Grabser Bräuche

 

Episode 7 – „Das Manteln und andere Bräuche“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Der Brauch des Mantelns hielt sich bis in die 60er Jahre. Nahe verwandte Männer trugen bei der Beerdigung auf dem Leichenzug durchs Dorf zur Kirche einen schwarzen Umhang, ähnlich einer Pelerine aus leichtem, schwarzem Stoff.
Es gab zu jener Zeit noch keine Leichenhalle. So wurde die verstorbene Person während drei Tagen im Sarg zu Hause aufgebahrt.
Am Tag der Beerdigung kam der Leichenführer mit seinem schwarzen Leichenwagen, der von einem Pferd gezogen wurde. Die Leute kamen ebenfalls zum Haus. Von dort bewegte sich der Leichenzug in gemächlichem Tempo zum Friedhof. Zuvorderst fuhr der Leichenwagen, an dem die Blumenkränze hingen. Dahinter kamen die Blumenträgerinnen, meist Mädchen im Schulalter. Diese trugen die Blumenschalen und Töpfe, die von Nachbarn, Verwandten und Bekannten geschenkt wurden. Die Blumenträgerinnen erhielten von der Trauerfamilie jeweils ein kleines Geschenk. Hinter den Blumenträgerinnen folgten nun die bemantelten Männer, meist drei oder vier in einer Reihe, dann die weiteren Männer und erst dann die Frauen. Je nach Persönlichkeit gab es so einen recht langen Zug der Menschen, die dem Verstorbenen auf seinem letzten Weg die Ehre erwiesen.
siehe auch „Chircheheiseri“ (interner Link)

Starb ein Elternteil war es Brauch, dass man die Trauerkleidung ein ganzes Jahr lang trug, bei Geschwistern ein halbes Jahr, bei Onkel und Tante waren es drei Monate, bei Grossonkel und Grosstante waren es noch drei Wochen.

Taufe
Die meisten Leute hatten zu jener Zeit noch kein Auto. So ging man mit dem Täufling zu Fuss zur Kirche. Es war Brauch, dass eine Pfuchgotta das Kind im Tragkissen zur Kirche trug. Zu diesem Zweck wurden grössere Schulmädchen angefragt. Erst dort übernahm dann die Gotte den Täufling.
Pfuch bedeutet Pfui. Dem Wort Gotta vorangestellt, würde das auf eine „falsche Gotta“ hinweisen. Daneben aber gibt es „der Pfucher“, was Knirps bedeutet. Damit wäre ein Hinweis auf die kindliche Gestalt der Trägerin gegeben.

Konfirmation
Nach der Konfirmation galt man als erwachsen, nun durfte man auf den Tanz gehen. Meistens war der erste Tanzanlass an Auffahrt im Restaurant Sonnenblick am Gamserberg. Da wanderten die frisch ledigen Grabser und Grabserinnen scharenweise zum Tanzlokal.

Geburtstage, Namenstage, Ostern und Weihnachten waren unsere Festtage.

Gross wurden die Geburtstage nicht gefeiert, es wurde gratuliert und als Geschenk gab es vielleicht mal eine Schokolade, dazu sicher etwas, das gerade gebraucht wurde, z.B. ein Paar Unterhosen oder ein Hemd.

An den Namenstagen wurden wir am Morgen, wenn wir aufstanden, am Hals leicht gewürgt. Die Bedeutung dieses Brauches kenne ich nicht.

An Ostern war für jedes Kind irgendwo im Garten ein Osternestli versteckt. Darin befanden sich ein paar Ostereier und ein Blechosterei, das lauter Zuckereili enthielt. Einmal in der Osterzeit kam Mutters Cousin zu Besuch. Er brachte uns einen riesigen Osterhasen aus Schokolade. So etwas hatten wir noch nie gesehen, das war ein Fest für uns Kinder.

Das Weihnachtsfest wurde voller Spannung erwartet. Was würde das Christkind uns wohl bringen? Welche Wünsche hatten wir? Einen Schirm, eine Badehose, Wollsocken, Finken, Handschuhe, Mütze, Unterwäsche usw. Bei uns kam das Christkind mit dem Christbäumli und den Geschenken über Nacht. So konnten wir den Morgen kaum erwarten, voll Freude und Spannung betraten wir die Stube. In der Ecke am Fenster stand wie immer der hübsch geschmückte Christbaum, an dem nebst bunten Kugeln und Engelhaar auch einige Schoggimäuse hingen. An der Wand zwischen den beiden Fenstern stand der Gabentisch. Darauf lagen und standen alle unsere Geschenke, nicht etwa hübsch eingepackt, nein einfach so.
Von meinem Götti bekam ich jede Weihnachten ein Besteckteil: einen Silberlöffel, später die dazugehörenden Messer, Gabeln und Kaffeelöffeli und zur Konfirmation bekam ich die noch fehlenden Teile.
Von meiner Gotta bekam ich immer etwas „Brauchbares“, einmal einen Schirm, ein anderes Mal waren es Badehosen, weil wir in der Schule im Winter etwa zwei Mal duschen mussten.
Da wurde eingeseift, geschrubbt und gewaschen. Das war sicher nötig, gab es doch in den wenigsten Häusern ein Badezimmer. Es war herrlich unter dem warmen Wasserstrahl!
An Weihnachten vor dem Schuleintritt bekamen wir einen Schultornister, eine Griffelschachtel und Farbstifte. Wenn unsere Gotta oder unser Götti und Familie mit den Geschenken zu Besuch kam, tischte Mutter Weihnachtsguetsli und Rotwein auf. Den Wein holte sie im Konsum, es war meistens Magdalener oder Kalterer.

Am Neujahrstag ging man zu den Nachbarn das Neujahr anwünschen. Da sagten wir: „I wüsche Dir e guets, gsegnets, neus Johr“. Da bekamen wir einen Zehn- oder Zwanzigräppler. Auch den Grosseltern und weiteren Verwandten ging man das Neujahr „aawüsche“. Auch bei diesem Anlass gab es Weihnachtsguetsli und Wein, für uns Kinder Süssmost oder Zuckerwasser.

Nebenverdienst im Alter

 

Episode 6 – „Das Leben im Alter“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Die AHV wurde erst im Jahre 1948 eingeführt. Vielfach wohnten die alten Leute mit ihren Söhnen oder Töchtern und deren Familien zusammen, halfen im Haushalt mit und hatten dafür zu essen und ein Dach über dem Kopf.

Andere mussten wohl von ihrem mühsam Ersparten leben und dazu wenn möglich noch mit irgend einer Arbeit einen Zustupf verdienen.

Da gab es eine Hausiererin, die mit einem alten Kinderwagen von Haus zu Haus ging und Kleinkram wie Schuhbändel, Faden, Nastücher, Kupferplätze usw. verkaufte. Einmal im Jahr kam von Wartau das „Chellefraueli“. Sie trug auf dem Rücken eine Kräze (Rückentragkorb), die behangen und gefüllt war mit verschiedensten Holzkellen.

Im Bürgerheim wohnte ein Mann, der „Chachleflicker“. Ihm konnte man feuerfeste Steingutschüsseln, die im heissen Ofen mal entzwei gingen, zum Flicken bringen. Mit feinem Draht nähte er die Stücke wieder zusammen. Wie er die feinen Löchlein ins Steingut bohrte ist mir unbekannt.

Jeden Samstag machte „s’Chämifeger’s Dres“ mit einer schwer beladenen Kräze auf dem Rücken seine Tour zu den Kunden. Er trug Wurstwaren und Fleisch von der Metzgerei Ochsen aus.

Eine alte Frau verdiente einen 20-Räppler, wenn sie in die Häuser kam um den Tod eines Gemeindemitgliedes zu verkünden. Damals kam die Zeitung nur drei Mal pro Woche. So verrichtete die „Chircheheiseri“ (sie hiess zur Kirche) einen guten Nachrichtendienst. Sie wusste jeweils auch Bescheid über den Verwandtschaftsgrad, und ob die Männer bei der Beerdigung manteln müssen.

Grabs 1954

Grabs 1954

Grabser Milchbüechli

 

Episode 5 – „Milchzahltag“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Bis im Frühling 1954 die Milchzentrale eröffnet wurde, trug unser Vater jeden Vormittag und Abend mit der Tanse auf dem Rücken die Milch zu seinen Kunden im Dorf. Am Abend war die letzte Station im Haus unserer Grossmutter. Im hinteren Hausgang standen drei bis vier Milchkesseli bereit. Es waren die Kannen von Beck Leart (Leonhard), später Schmitter, die Kesseli von „Gäbschä Babä“, von Rose-Helmi und das der Grossmutter.
Unsere Grossmutter hatte in den 50er Jahren schon ein Radio. Da wurden von Jeremias Gotthelf die Hörspiele „Ueli der Knecht“ und „ Ueli der Pächter“ gesendet. An den Hörspielabenden erschien Vater pünktlich, oft war auch Besuch der Milchkunden dabei, die an manchen Abenden mit Grossmutter einen Jass klopften.

auf Milchtour

auf Milchtour

 

Im Jahre 1954 wurde die neue Molkerei Grabs eröffnet, vorher war dort das alte Schulhaus. Von da an musste Vater die Milch nicht mehr auf dem Velo seinen Kunden von Haus zu Haus austragen. Nun wurde die Milch in die Molkerei gebracht. Als wir grösser waren, mussten wir am Abend die Milch auf dem Handwägeli zur Molkerei bringen. Da traf man auch andere Kinder, konnte mit ihnen ein Stück des Weges gemeinsam gehen und noch etwas schwatzen und lustig sein.

Im Laden der Molkerei konnten die Leute die Milch im Offenausschank kaufen. Der Käser stellte aus der Milch aber auch Yoghurt, Butter und Käse her.

Die Ablieferung in der Molkerei war auch für Mutter eine kleine Erleichterung. Nun musste sie die Milchtanse nicht mehr im Brunnen sauber waschen. Man konnte sie sofort nach dem Leeren an der Waschanlage reinigen.

In der Molkerei wurde die Milch gewogen und die Menge in einem Büchlein aufgeschrieben. Jeden Monat wurde dann abgerechnet und es war Zahltag! Auf diesen Tag wartete Mutter oft sehnsüchtig, wenn im Geldsäckel gähnende Leere war.

Grabser Feierabend-Gespräche

 

Episode 4 – „Mit Grossmutter auf dem Heimweg“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Nachdem ihr Mann starb, war Lina tagsüber bei ihrer Tochter und deren Familie. Jeden Abend nach dem Essen wurde sie vom Oberfeld nach Hause ins Oberdorf begleitet. Auf diesem Fussmarsch durch das Dorf gab es manche Gespräche mit Leuten, die nach Feierabend noch draussen waren. Damals gab es noch nicht in jeder Stube ein Radio und schon gar nicht einen Fernseher.

Im Holland stand oft „Òschles Fluri“ am Tenntor. Da wurden einige Worte über das Wetter und den Verlauf der Heu- oder Obsternte gewechselt. Bei der Post und der Kreditanstalt (heute Velohandlung Lindenau) wohnten Kathrina und Tèäbis. Die Themen der Gespräche handelten meistens vom Dorfgeschehen und der Politik.
Der Heimweg ging weiter, an der Milchzentrale vorbei dem Oberdorf entgegen. Manchmal gab es bei „s’Thomäsä“ noch einen Halt. Ueli, Betheli und Chläusli, den sie „dr Bueb“ nannten, waren drei altledige Geschwister. Der Chläusli war häufig schon im Bett, da er ja die ganze Landwirtschaft (2-3 Kühe) allein bewältigte. Ueli war Musiker, anfangs kostete eine Gitarren-Stunde 1.- Fr., später 1.30 Franken. Betheli und Ueli schätzten die abendlichen Besuche, und oft griff Ueli in die Saiten seiner Zither und spielte das bekannte Harry Lime Thema aus dem Film „Der dritte Mann“. Diese zwei alten Leutchen konnten auch wunderbar erzählen und dabei herrlich übertreiben, dass man darüber nur schmunzeln konnte.

Hier ein paar Müsterchen, entnommen aus „Erinnerige as Thomäs“, vom Dachdecker Dres geschrieben:

Es isch en Nebel chuu, digg wie e Wònn, me hät denan bim Mischtzette tägwiis nid gseäh. Me hät Mischtfurgge nid müesse iestegge, sie isch selber gschtònne bi dem Nebel. Un vom Läde uftoä isch ke Red gsi, dr Nòmme häsch chönne iichretzä, soe digg isch dr Flot glegä.

Dr Chläusli hät emol uf dr Alp soe fescht Zòhweäh gkò, dass er drei Täg mus-chleppertoäd i dr Chripp hinn glegä sei.

Ass es eim bim Schtürmä d’Chnöpf vom Schoeppä ewegg rupft, seb weissme, aber d’Sögg zun Schuehne us, seb isch denn gschtürmt. Sisch denn o ruch un chalt worde, d’Chüeh häts tischhoech ufgworfe, soe häns gfrore.

Es sei e dergi Hitz gsi, dass em Betheli ihri Schoess bräselät heg. Un Breme hegs gkò, wie sechswüchegi Färli. Sie hegen dr Chläusli gnu, as es blüetet heg, as wie wemmä e groessi Sau gmetzget het. Jo, abgnaget hensne bis uf d’Chnoche, klepperet hegs, wenn er ummeglaufe sei.

In der Fasnachtszeit hatte Betheli alle Hände voll zu tun. Sie buk Fasnachts-Chüechli. Man brachte ihr die Zutaten: Eier, Mehl, Pferdefett und eine grosse viereckige Zeine, um darin die fertigen Chüechli nach Hause zu holen. Die Beiden verdienten mit ihren Arbeiten das Geld für den bescheidenen Lebensunterhalt.

Gewerbe in Grabs

 

Episode 3 – „Fuhrhalterei und andere Gewerbe in Grabs“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Nach der Sekundarschule lernte Lina Damenschneiderin. Nebenbei half sie zu Hause tüchtig mit. Überall wo ihre Hilfe nötig war, in der Küche oder im Service.

Auch Stephan Vetsch, Jahrgang 1879 aus Grabs, kehrte öfters im Rössli Sax ein. Er fand Gefallen an der fleissigen Lina. Die jungen Leute verliebten sich und heirateten.
In den ersten Jahren arbeitete der junge Ehemann bei seinem Bruder in der Sägerei und Mosterei sowie in der Landwirtschaft. Sein Wunsch war aber das Fuhrwerken.

Er bewarb sich bei der Konsumgenossenschaft Grabs für den Camionagebetrieb. Gemäss Schreiben vom 25. Februar 1910 wurde er auf den 1. März als Camioneur angestellt:

Zusage als Camioneur

Zusage als Camioneur

 

Im November gleichen Jahres konnte er die Liegenschaft im Oberdorf Grabs erwerben. Nun war sein Berufswunsch in Erfüllung gegangen und mit dem eigenen Haus und Stall der Grundstock gelegt für ein blühendes Geschäft. Mit Pferd und Wagen holte er am Bahnhof Buchs die Güter ab und brachte sie an die Bestimmungsorte. Der Konsumverein, Stickereien, Spinnereien, die Reisserei Vetsch an der Sporgasse waren ebenso Kunden wie die Schafwollspinnerei Sturzenegger im Vorderdorf. Auch für die Schuhfabrik waren Güter zu transportieren. Die fertigen Fabrikerzeugnisse wurden wiederum zum Verlad an den Bahnhof Buchs gebracht.

Fuhrmann Stephan Vetsch beim Bahnhof Buchs

Fuhrmann Stephan Vetsch beim Bahnhof Buchs

 

Die gute Schulbildung seiner Frau war von Vorteil. Sie schrieb mit ihrer schwungvollen Schrift mit Federhalter und Tinte die Frachtbriefe. Sie bediente auch das Telefon, einer der ersten Fernsprechapparate in Grabs. Er hing in der Nebenstube, gleich neben der Türe und hatte einen Holzgriff mit einer schwarzen Bakelitsprechmuschel.

Lina besass auch ein Velo, das mit einer Karbidlampe, einem Rücktritt und einer „Pneubremse“ ausgestattet war. Mit ihm war sie in kurzer Zeit vom Oberdorf bei den Geschäften im Dorf, um ihre Einkäufe zu tätigen. Die Bäckerei befand sich gleich über der Strasse. Dort holte sie bei Beck Leart das Brot. Und auf der „Rose“ (auch in nächster Nähe) gab es einen USEGO-Laden, wo die nötigsten Lebensmittel erhältlich waren. Das Fleisch kaufte sie in den Metzgereien „Zwifel Peter“, im Ochsen beim Toni Singer oder im Schäfli. Einen weiteren Spezereiladen war „s’Laager’s“, auch im Oberdorf.

Die Familie wuchs, auch die Fuhrhalterei wuchs und bald standen im Pferdestall bis zu sieben Pferde. Ein Knecht half bei der Arbeit mit. Als der älteste Sohn die Schuljahre beendet hatte, war er als junger Fuhrmann seinem Vater eine grosse Hilfe. Leider verunglückte er mit siebzehn Jahren tödlich.
Der jüngere Sohn half nun tüchtig in der Fuhrhalterei mit. Arbeit war für alle da, das Geschäft blühte, und für die Pferde musste auch Heu herbeigeschafft werden. Später wohnte er mit seiner Frau im Quader, wo sie einen kleinen Mercerie- und Stoffladen führte. So konnte sie etwas zum Zahltag ihres Mannes, der dann in der Schuhfabrik Martin arbeitete, dazu verdienen.

Die Tochter Katharina lernte nach der Schule den Beruf der Herrenschneiderin. Nebenbei verdiente sie sich einige Franken im Service, vor allem im Restaurant Löwen Grabs. Den Servierkurs besuchte sie in Buchs. Im April 1938 heiratete sie Florian Vetsch von der Grenze. Sie erwarben die Liegenschaft im Oberfeld, wo sie eine Landwirtschaft betrieben.

Im Jahre 1947 wurde der Fuhrhaltereibetrieb an Florian Lippuner im Feldgatter übergeben.