Die Binnenkanäle im Rheintal
Augenzeugenbericht: Die italienische Köchin beim Bau des Binnenkanals
Augenzeugenbericht: Der Zusammensturz der Salezer Brücke über den neuen Kanal
(Quelle: Appenzeller Kalender 1950)
Vom Rheintal und der Rheinnot.
Das Rheintal ist, geologisch betrachtet, ein junges Gebilde. Einst reichte der Bodensee hinauf bis in die Gegend von Oberriet, ja vielleicht sogar bis nach Chur oder Reichenau. Im Verlaufe von langen Zeiträumen wurde dieser See durch das Geschiebe des Rheins und seiner Zuflüsse ausgefüllt. Bei der Verlandung entstanden Binnenseen, die unter Mitwirkung einer üppigen Vegetation von Wasser- und Sumpfpflanzen nach und nach ebenfalls verlandeten. Mächtige Torflager entstanden, in ihrer Schichtenlage gelegentlich mit Rheinletten oder Ton durchsetzt. So entstand die Rheinebene. Die Verlandung geht weiter. Der Rhein transportiert jedes Jahr annähernd drei Millionen Kubikmeter Kies, Sand und Schlamm in den Bodensee. Im Delta des Fussacher-Durchstiches sind seit dessen Eröffnung im Jahre 1902 140 Hektaren Neuland entstanden. Der Bodensee wurde infolge dieser Verlandung in den letzten Jahren jedes Jahr um vier Hektaren kleiner; die Rheinebene wird entsprechend grösser. …
Der Rhein, dieser wilde Strom, beherrschte früher das Tal in seiner ganzen Breite. Er wechselte oft seinen Lauf. Die Menschen fürchteten sich vor dem unberechenbaren Gesellen. Sie bauten ihre Siedlungen am Bergfuss und an einzelnen erhöhten Stellen in der weiten Ebene, so in Montlingen, Kriessern und im Hof Haslach – dem jetzigen Widnau. Die Bewohner des Tales begannen sich gegen den Wildstrom zu wehren. Sie bauten Wuhrköpfe und verbanden diese mit zusammenhängenden Leitwerken. Aber ihre Kräfte reichten nicht aus gegen die mächtigen Naturgewalten.
Die Rheinnot war der Schrecken des Tales, bis mit grossen öffentlichen Mitteln der Kampf gegen die wilden Naturgewalten, welche dieses wertvolle Tal entwerteten, aufgenommen wurde. Aber auch die öffentliche Hilfe hatte besondere Schwierigkeiten. Der Rhein ist ein Grenzstrom. An ihm ist auch der rechtsseitige Nachbar, früher die österreichisch-ungarische Monarchie, jetzt die Republik Österreich interessiert. Ohne das Einverständnis dieses Nachbars war eine durchgreifende Hilfe nicht möglich. Diese Hilfe kam, als die beiden Uferstaaten sich auf die Erstellung eines durchgehenden, starken Leitwerkes auf der ganzen Länge des Flusslaufes einigten. Die Rheinkorrektion wurde Tatsache.
Rheinkorrektion und Rheinregulierung.
In den Jahren 1861 bis 1871 entstand das grosse Werk. Seine Vollendung wurde durch das Hochwasser vom 28. September 1868 stark gestört; das Rheintal erlitt damals zwischen Ragaz und Bodensee durch Dammbrüche schweren Schaden. Die Erinnerung an die schreckliche Rheinnot von 1868 ist in der Überlieferung des Rheintalervolkes bis auf den heutigen Tag lebendig geblieben. Drei Jahre später stellte sich nochmals ein verheerendes Hochwasser ein. Seit 1871 jedoch blieb das st. gallische Rheintal in seiner ganzen Strecke von Rheineinbrüchen verschont. Die Bauwerke der 1860er Jahre hatten wohl für einmal die Überschwemmungsgefahr gebannt. Leider war die Sicherung keine dauernde. Weitere grosse Summen mussten seither aufgewendet werden. Eine neue, grosse gemeinsame Anstrengung vollbrachten die beiden Uferstaaten mit der Ausführung der Rheinregulierung, umfassend den Fussacher- und den Diepoldsauer-Durchstich, und die Normalisierung der Zwischenstrecke zwischen beiden Durchstichen.
Trotzdem bleibt der Rhein solange eine Gefahr, bis durch weitgehende Verbauung und Aufforstung im Einzugsgebiet der Zuflüsse in Graubünden und im Vorarlberg die Geschiebezufuhr stark abgenommen haben wird. Die Bauwerke erfordern zudem dauern sorgfältige Überwachung und fachmännischen Unterhalt. Ein gut durchorganisierter Melde- und Wasserwehrdienst von Reichenau bis zum Bodensee tut das Weitere, um schlimme Überraschungen zu verhindern.
Wie ein Alpdruck lastet die Tatsache auf der Bevölkerung des ganzen Rheintals von Trübbach bis Au, dass das Rheinbett sich Jahr für Jahr erhöht. Bei Buchs und im Diepoldsauer-Durchstich hat es schon einen gefahrdrohenden Stand erreicht. Neue grosse und teure Werke werden notwendig zur Sicherung der rheintalischen Dörfer und des wertvollen Kulturlandes. In Zusammenarbeit der Eidgenossenschaft, der Kantone und des Grundbesitzes des Gebietes muss die endgültige Sicherung des Rheintales vor den Gefahren des Rheins gelingen.
Die Binnenkanäle als Voraussetzung für Bodenkultur und Besiedlung.
Besonders wertvoll für die Besiedlung und die Verbesserung der Landwirtschaft im Rheintal war die Erstellung der beiden Binnenkanäle zwischen Trübbach und St. Margrethen. Die Zusammenfassung des von den Berghängen zufliessenden Wassers in den beiden Binnenkanälen schuf die Voraussetzung zur Schliessung einer Anzahl gefährlicher Lücken im Rheindamm. Zugleich sind diese Binnenkanäle die Voraussetzung für die Detail-Entwässerung der Rheinebene.
In den Jahren 1882-84 wurde der Werdenberger Binnenkanal gebaut. Im Bezirk Werdenberg ist das Meliorationswerk fast vollendet. Es nahm seinen Anfang mit der Güterzusammenlegung in Haag in den Jahren 1882-84. Ihm folgten die Meliorationen in Grabs und Gams in den Jahren 1901-03. Und als weiteres grosses Werk von über 900 Hektaren Fläche folgten nach dem ersten Weltkrieg die Meliorationen im Saxerriet. Den Abschluss bildeten die Drainagen auf 550 Hektaren Fläche während des letzten Weltkrieges. Daneben entstanden noch einige kleinere Meliorationswerke im Bezirk Werdenberg. Nicht zur Ausführung kam die weitgehend vorbereitete Melioration der Sennwalder-Auen.
Der Rheintaler Binnenkanal erschliesst das Gebiet von Sennwald abwärts bis St. Margrethen. Der Rheintaler Binnenkanal wurde unter grossen Bauschwierigkeiten in den Jahren 1894-1906 erstellt. Die Baukosten betrugen mit 6 150 000 Fr. das Dreifache des ursprünglichen Kostenvoranschlages. Die Opferbereitschaft der Öffentlichkeit und die Zähigkeit und Tüchtigkeit der Ingenieure haben alle Schwierigkeiten überwunden. Das Zustandekommen dieses grossen Bauwerks war die Voraussetzung für die Entwicklung zahlreicher Dörfer im Rheintal, insbesondere aber der Industrieorte Au, Widnau und Heerbrugg. Der Rheintaler Binnenkanal ist ein ideales Vorflutgewässer. Er ist tief genug in die Rheinebene eingeschnitten für die Einleitung des Wassers aus Wildbächen und Entsumpfungskanälen des grossen Einzugsgebietes. Weil er in den alten Rhein und durch diesen direkt in den Bodensee einmündet, ist sein Wasserstand unbeeinflusst vom Hochwasser des Rheins. …
Tags: