Mangelhafte Rheindämme

(Quelle „Beschreibung der Schweizerischen Alpen- und Landwirthschaft“, 1804, Johann Rudolf Steinmüller)

Die Verfertigung der Rheindämme oder sogenannten Wuhre in dieser Gegend wird durch Gemeindefrohndienste besorgt. So oft es die Noth erfordert, muss jeder Gemeindegenoss Theil an dieser Arbeit nehmen, die völlig unentgeldlich verrichtet werden muss; besitzt einer eine Mähne Pferde oder Ochsen, so muss er mit diesen Steine und Dammmaterialien herbeyführen; es hat schon Jahre gegeben, wo Männer, Pferde und Ochsen 60, 70 bis 80 Tage in denselben solche Frohndienste verrichten mussten, und ein Jahr in das andere gerechnet, müssen die Haushalter in dieser Gegend immer alle Jahre einen ganzen Monat ihre Arbeit darauf verwenden. Die Kühe sind von dieser Pflicht ausgenommen, und es fahren daher sehr viele eigennützige Bauren von ordentlichem Vermögen nur mit Kühen, damit sie an den Fuhren für die Rheindämme keinen Antheil nehmen müssen. Und wirklich ist herüber schon mancher Streit entstanden; allein es lässt sich nicht leicht ein besseres Gesetz, als das bisherige entwerfen, indem die Grenzlinie zwischen reich, mittelmässig begütert, dürftig und ganz arm noch nie hat gezogen werden können, und einer beruft sich immer auf den andern. – Den grössten Vortheil hierin haben die reichsten, welche viele Ochsten und Pferde besitzen, und die ärmsten Bauren, die keinen Antheil an diesen Gemeindsfuhren nehmen müssen, derjenige hingegen, der nur eine kleine Anzahl Vieh oder doch Pferde und Ochsen besitzt, hat die grösste Last zu tragen. – Der bisherigen Bemühungen ungeachtet, nehmen die Ueberschwemmungen des Rheins Jahr zu Jahr eher zu, als ab. Schon die Abzugsgräben sollten hin und wieder viel sorgfältiger geöffnet und von Zeit zu Zeit mit mehr Fleiss ausgebessert werden, als dies bisher geschah; und die hier allgemein eingeführte Einrichtung der Rheindämme hilft immer nur für den Augenblick, und wäre ich höchsten Grade der Verbesserung bedürftig. Die gründlichen Bemerkungen meines Freundes, des H. Eschers in Zürich, die er schon vor einigen Jahren über diesen Gegenstand bekannt machte, verdienen hier aufs Neue benutzt zu werden.

Noch wild und trüb sind in diesen Gegenden die Fluten des Rheins, oft strömen sie gedrängt zwischen ihren selbst aufgehäuften Griess- und Sandbänken durch, und graben sich ein augenblickliches tiefes Bett aus, oft aber verbreiten sie sich über eine beträchtliche Fläche, wo sie alle ihre ursprüngliche Stärke verlieren, also die mitgeschwemmten Geschiebe absetzen, und sich durch diese lokale Erhöhung ihres Bettes selbst zwingen, seitwärts wieder ein tieferes Bett aufzusuchen, wodurch dann oft die reichen Fluren der an den Ufern wohnenden Menschen fürchterlich beschädigt werden: kommen nun gar in den Sommermonaten die geschmolzenen Schneemassen des Rheinwaldes, Lukmaniers und der übrigen ausgedehnten Schneegebirge des nördlichen Rhätiens, so überströmen sie, in diesem weiten offenen Thale, das ganze oft bis auf eine Viertelstunde breite Rheinbett, wo aber so ausgedehnte Sandbänke aufgehäuft liegen, dass die Hauptmasse des Stroms meist gegen die beiden Ufer hinübergedrängt wird, die lockere Dammerde derselben wegspühlt und so oft beträchtliche Strecken mit sich fortreisst, oder doch traurig beschädigt. Die österreichischen oder westlichen Rheinufer haben zwar meist in dieser Gegend den Vortheil einer merklichen natürlichen Erhöhung, oft sind sie selbst durch Hügel geschützt, aber eben deswegen werden auch die Fluten des Rheins mehr an die schweizerischen ganz allgemein niedren Ufer herübergedrängt, wo sie die meisten Verwüstungen veranlassen. Nimmt nun im Spätjahr die Wassermenge des Rheins wieder ab, so findet sich das ausgedehnte Bett dieses Stroms gerade an denjenigen Stellen beträchtlich erhöht, wo wegen schon vorhandenen Griess- und Sandbänken das Wasser die geringste Tiefe hatte, und wo also dasselbe seine mitgeschwemmten Geschiebe abzusetzen gezwungen war; dadurch werden dann alle die traurigen Ereignisse eines bald da bald dort an den Ufern oft in einer dem rechten Winkel nahe kommenden Richtung erscheinenden und durch die benachbarten Sandbänke konzentrirten Stromes erneuert und wegen verschlimmerter Beschaffenheit des eigentlichen nun trockenen Rheinbettes, häufiger und gefährlicher gemacht. Wären beide Ufer des Rheins von den Bürgern eines Staates bewohnt, und könnte eine freundschaftliche Uebereinkunft zwischen den beidseitigen Landesregierungen statt haben, so könnte diesem Uebel, welches jetzt schon so beträchtlichen Schaden bewirkt, und welches sich jährlich merklich vermehrt, durch gemeinschaftliche Maasregeln auf immerhin gesteuert werden. Zu diesem Ende hin müsste dem Rhein eine gerade Richtung gegeben, und eine merklich verengerte Normalbreite angewiesen werden; dadurch bekäme der Rhein einen schnellern Lauf, würde also weniger Geschiebe abzulegen gezwungen werden, und würde bey hohem Wasserstand, insofern er nämlich stark genug eingedämmt wäre, sich sein Bett etwas tiefer ausschwemmen und so durch sich selbst sein Ufer für die Zukunft sichern. Bey gegenwärtigen Umständen aber ist nur Lokalsicherung des Landes durch Palliativmittel möglich. Zu diesem Ende hin wenn der Rhein mit seiner ganzen Kraft auf die Ufer des Ländchens Sax, Werdenberg und Warthau zuströmt, werden von den benachbarten Gemeinden frohnweise Wehre angelegt um die Ufer zu sichern. Diese Wehre werden allgemein von lockern Faschinen oder Stauden verfertigt, welche mit sehr grossen Felsenstücken beschwert werden, wodurch gewöhnlich gleich Anfangs dem Strom Einhalt gethan, und derselbe abgetrieben wird; allein dessen ungeachtet haben diese kostbaren Wehre zwey besonders wesentliche Fehler, welche von so grossem Nachtheil für diese Gegend sind, dass die Landesobrigkeit die Abwendung desselben zu bewirken suchen sollte.

Allervorderst werden in der Gegend der Herrschaft Sax (Von den Bündtner Gränzen weg bey der Zollbrücke, bis an die Herrschaft Sax hin, sind lauter Streichwehre, und alle Schupfwehre seit Jahrhunderten gegenseitig bey hoher Strafe verboten.) allgemein nur Schupfwehre statt Streichwehre angelegt: diese Schupfwehre gehen vom unmittelbaren Ufer in einem Rhein abwärts mehr oder minder spitzigen, zuweilen dem rechten nahe kommenden Winkel auf 30 bis 50 Fuss in den Fluss hinaus, und treiben also das Wasser in einem beynahe rechten Winkel in sein eigentliches Bett zurück; allein hier stösst es sogleich auf die hochaufgeschwemmten Griess- und Sandbänke, die den Strom mit eben der Gewalt wieder zurückdrängen, und so unter dem angelegten Schupfwehre wieder an das natürliche unbekleidete Ufer antreiben, welches dann aufs neue angegriffen und in einem tief eindringenden halben Zirkel ausgefressen wird. Diese Wirkung, die sich allgemein längs dem ganzen Rheinufer der Herrschaft Sax zeigt, ist so natürlich, dass gewiss nur allgemeine hydrostatische Kenntnisse erfordert werden, um bey jenen Angaben diese vorversehen zu können. Daher wäre es äusserst wichtig, die am Rhein wohnenden Gemeinden, die so drückend durch diese Wehre beschwert werden, anzuhalten, dass sie ihre Schupfwehre allmählig in Streichwehre verwandelten, wodurch dann theils die Ufer allgemein bekleidet würden, theils aber auch der Strom nicht mit solcher Gewalt, unter einem so starken Winkel, in seine Griess- und Sandbänke hineingedrängt würde, dass diese ihn ganz unausbleiblich wieder zurückprellen und in das Ufer hineintreiben müssen.

Der zweyte äusserst wesentliche Fehler in der Beschaffenheit aller Wehre ist die elende Construction derselben: sie bestehen nämlich aus lockern Faschinen, oder vielmehr grossen Stauden, die mit ihrem dickern holzigern Theile gegen den Strom auswärts gelegt, und an einigen schwachen eingeschlagenen Pfählen befestigt werden; sind nun grosse dicke Lager solcher Stauden vorhanden, so werden mächtige Feldsteine dahergeführt, auf diese Stauden hingewälzt, um sie zusammen zu drücken und recht fest zu halten; und hiermit ist der Damm vollendet, denn an eine weitere Bekleidung wird nicht gedacht. Kommt nun ein etwas stärkerer gewaltsamer Strom, in einem starken Winkel, auf eine solche elende Schupfwehre zu, so ist oft in einer Stunden das Werk mehrerer saurer Gemeinde-Arbeitstage sowohl, als auch die nicht unbedeutenden Materialien des Dammes verlohren, und also das Ufer wieder gänzlich entblösst. Werden aber auch diese Wehre von solchen schnellen Unfällen verschont, so bedarf es nur der veränderlichen Witterung einiger weniger Jahre, so sind diese holzreichen Dämmer vermodert, zusammengesunken, zum Theil weggeschwemmt, und die grossen Steine, mit denen sie beschwert waren, von ihnen herab, in den tiefen Fluss hinaus versenkt; oft machen endlich an diesen Stellen, wo ähnliche Dämme beständig erneuert werden müssen, zuletzt diese versenkten Felsenstücke eine ungleich festere und zweckmässigere Bekleidung zur Beschützung der Ufer, als alle die künstlichen, mühsam angelegten Dämme der Menschen nicht sind: aber der Eingeborne, statt sich durch die natürliche Anlage solcher zufällig entstandenen Steindämme zu seiner weitern Beschützung belehren zu lassen, geht unempfindlich bey ihnen vorby, und hackt gleichsam seine kostbaren Stauden zusammen, um neue Holzdämme anzulegen.

Nur in der Gegend der Gemeinde Salez scheint jener lehrreiche Fingerzeig zum Theil benutzt worden zu seyn; denn hier sieht man zuweilen die Dämme ganz ausschliesslich aus grossen Felsenstücken bestehen, die in einer schiefen, nicht sehr steilen Anlage, über einander hingeworfen sind, und so die dauerhaftesten Wehre verschaffen.

Da wo, wie es in diesen meisten Gegenden der Fall ist, genug grosse Feldsteine vorhanden sind, können vermittelst derselben weitaus die dauerhaftesten und zweckmässigsten Dämme angelegt werden. Zu diesem Ende hin müssen die Ufer in einem Winkel von höchstens 40 Grad abgestochen, und ganz mit jenen grossen Felsenstücken bekleidet werden; so wie nun solche Ufer vom reissenden Strom untergraben werden, rutschen diese grossen Steine auf der schiefliegenden Fläche der Ufer herab, und senken sich tief ein, denn überstürzen können solche trockne Mauren nicht, wegen ihrer sanften Anlage, und fortgeschwemmt können ihre Bestandtheile nicht werden, weil sie ausschliessend aus so grossen Steinen bestehen, die ihrer Schwere wegen nicht vom Wasser weggeschwemmt werden können: sinkt nun, wie es immer sehr bald der Fall seyn wird, eine ähnliche Uferbekleidung allmählig ein, so darf sie nur eben wieder mit ähnlichen Steinen erhöhet werden, so erhält sie durch dieses allmählige Herabsenken nur desto mehr Festigkeit, weil die erstern versenkten Steine nun der neuen Uferbekleidung als Fundament dienen. Aehnliche Steindämme, wenn sie sich allmählig gehörig eingesenkt haben, sind so feste, dass die wildesten Bergströme sie unangetastet liegen lassen. auf diese Art ist endlich die wilde Adda im obern Veltlin gänzlich bezwungen, und die reichen Fluren von Tiran gegen ihre fürchterlichen Verheerungen geschützt worden: so hat auch Aarau endlich die Aare bezwungen, und sich vor ihren Ueberschwemmungen gesichert, da sich die Einwohner dieses Städtchens ehmals an ihren hölzernen Dämmen fast zu Tode arbeiteten, ohne sich hinlänglich sicher zu können; der Wohlthäter, welcher zuerst diese Dämme bey Aarau einführte, ward, weil seine Dämme gar nicht künstlich, sondern ganz natürlich aussahen, ausgepfiffen, seines Amtes entsetzt, und so lange geneckt, bis er vor Gram starb, seine Arbeit aber sichert ihm den Segen seiner Nachkommen.

Da, wo keine solche hinlänglich grossen Felsenstücke genugsam vorhanden sind, werden Dämme am zweckmässigsten mit Faschinen gebaut: zu diesem Ende hin aber müssen wirklich gebundene Faschinen verfertigt werden, welche dann kreuzweise so übereinander gelegt werden, dass die Ueberkleidung etwa 40 Grad Einsenkung erhalte, und dass diejenigen abwechselnden Faschinenlager, welche direkt dem Strom entgegen stehen, gedrängt liegen; diejenigen Faschinen hingegen, welche mit dem Ufer selbst die gleiche Direktion erhalten, werden nur reihenweise in einiger Entfernung von einander hingelegt, und durch eingerammelte Pfähle befestiget; die dadurch entstehenden Zwischenräume werden mit Dammerde ausgefüllt: hat nun durch diese Faschinenlager der Damm seine genugsame Höhe erreicht, so wird er mit Rasen bekleidet, und mit schnell wachsenden Wasserbäumen bepflanzt. Solche Faschinenwehre sind an allen denjenigen Stellen, wo es um blosse Ueberkleidungen zu thun ist, völlig hinlänglich und zweckmässig; da aber, wo ein starker mit Geschieben beladener Strom natürlicher Biegungen wegen stark an das Ufer anprellt, ist eine Bekleidung, wie die vorgeschlagenen Steindämme geben, zu hinlänglicher Sicherung unentbehrlich.

Eben so können die Wasserwehre von Warthau, Werdenberg und Sax, ungemein zweckmässig nach Umständen, theils aus Faschinendämmen, theils aus Steindämmen bestehen, und wenn ihre unzweckmässigen Schupfwehre nach und nach in Streichwehre umgeschaft würden, so könnten diese wichtigen Rheinufer und ihre dannzumahl erforderliche Sicherung ausserordentlich holz- und kostenersparend werden; da hingegen bey Fortdauer der gegenwärtigen Umstände, immer das Mark dieser Gegenden auf die unzweckmässigste Beschützung desselben gegen den Rhein verwendet wird.


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