(Quelle Appenzeller Kalender 1856)
Bekanntlich bildet der Rhein von Ragaz an bis zum Bodensee in einer Länge von 15 ½ Stunden die Grenze zwischen der Schweiz und Oesterreich. Sein Lauf ist ein sehr unregelmässiger, indem er verschiedene Krümmungen macht, so besonders bei Diepoltsau, St. Margrethen und Rheineck. Liegen auch an den beidseitigen Ufern eine Menge Dörfer, so ist doch schon ihr Aussehen das volle Gegentheil von dem freundlichen Gelände des Zürichsees. Statt der belebten und stattlichen Dörfer mit ihrem sichtlichen Wohlstande und den fruchtbaren Feldern, die uns hier entgegenlachen, finden wir im Rheingelände meist nur ärmliche Häuschen und Dörfchen, grossentheils kümmerlich bebaute, oft mit Sand und Schlamm überzogene Ebenen. Trittst du, lieber Leser, in die Wohnungen und siehst, mit wie wenig die Leute sich begnügen und wirst inne, wie bei allem Mangel die Grosszahl derselben noch verschuldet und in wie manchen Jahren der Ertrag ihrer Felder bereits vorgegessen ist, so begreifst du, warum inner den letzten Jahrzehnden so Viele aus dem Rheinthale nach Amerika ausgewandert sind. Ohne lange zu forschen, kannst du bald erfahren, wer der Zwingherr ist, der dem Volke das Leben von Jahr zu Jahr unerträglicher macht. Es ist der Rheinstrom, der die Niederungen des Thales so heimsucht und eine immer drohendere Miene macht, die Anwohner, wo nicht zu verschlingen, doch zu vertreiben. In Bäumen und Gebäuden kannst du nur zu deutliche Spuren finden, wie hoch das Gewässer über die Felder gestanden und in Au, Widnau etc. wissen selbst die Kinder schon von mehrern Fällen zu erzählen, wo das Wasser zu den Stubenfenstern eindrang, wo Leute und Vieh sich zu oberst in die Häuser oder durch Schiffe auf die Höhen flüchten mussten, und wie das Wasser nicht nur etwa nach und nach steige, sondern öfters mit furchtbarer Gewalt plötzlich mannshoch daherströme. Ein solcher Fall suchte das Thal auch letzten Sommer heim.
Die grosse Hitze in der ersten Hälfte des Juni (1855) verursachte ein schnelles Schmelzen des Schnees in den Hochgebirgen, daher ein Anschwellen der Gebirgsbäche und des Rheins, in welchem sich jene entleerten, so dass der Rhein hoch ging und sein Bett bis an den Saum der Dämme ausfüllte. Dagegen war die warme Witterung für die Pflanzungen auf dem Gemeindetheilgut (dem Eisenriet etc.) äusserst günstig und schon hofften die Pflanzer, meist der ärmern Klasse angehörend, aus dem üppigen Wuchs auf eine reichliche Ernte. Eben so vortheilhaft zeigte sich die Witterung für das Schollen- oder Torfgraben und Trocknen des Torfs; es waren bereits viele hundert und hundert Fuder Torf gegraben und wie man glaubte, für den Verkauf und den eignen Bedarf auf den nächsten Winter gewonnen. Aber die Regengüsse am Samstag den 16. Juni und die darauf folgende Schreckensnacht vereitelten diese Hoffnungen. Der Rhein überfluthete seine Grenzen in einer Ausdehnung von 7-8 Stunden in der Länge (von Haag bis an den Bodensee) und etwa eine halbe Stunde in die Breite, zerstörte viele Wuhrungen, brach bei Montlingen in das Land ein, lieferte einen bedeutenden Theil seines Wassers über die Felder herab, und es glich bald das ganze Thal einem See, der Au und Widnau zu begraben drohte, mehrere andere Ortschaften unter Wasser setzte und wegen des Zurückstauens der Bergbäche selbst höher liegende Orte, wie Bernegg, erreichte. Im Ganzen wurden etwa 20 Ortschaften mehr und weniger von der Ueberschwemmung heimgesucht. Damit war der Ertrag der unter Wasser gesetzten Wiesen und Felder dahin und die Vorräthe in den Kellern verdorben. Als das Wasser nach einigen Tagen wieder abgelaufen, bemühten sich Viele, ihre Felder wieder neu mit Sommerfrüchten zu bepflanzen, aber die wiederholten Einbrüche des Rheins vereitelten grossentheils auch diese letzte Hoffnung auf eine diesjährige Ernte. Noch musste man von Glück sagen, dass der Rhein sich beim Dammbruch nicht ein bleibendes Bett gegraben und von Oberriet abwärts das tieferliegende Land völlig zerstört hat.
Wie ist diesen Rheinausbrüchen zu wehren und dem bedrohten Lande zu helfen? Das ist die grosse Frage, die seit wenigstens 100 Jahren die Anwohner fast ununterbrochen beschäftigt, weil sie nach und nach zur Existenzfrage geworden und daher seit mehr als einem Jahrhundert fort und fort auch die betreffenden Gemeinde- und Staatsbehörden behelligt. Diese Frage macht das A und O der Sorgen der Rheinthaler aus, mit ihr beschäftigen sie sich bei der Arbeit, mit ihr gehen sie zu Bette, sie erschreckt sie in Träumen und mit ihr erwachen sie. Sonnenschein und Föhnwind, Regen und Schnee, diese gewöhnlichsten Naturerscheinungen sind fast allemal, wenn sie länger anhalten, Trauerboten einer bald und oft plötzlich einbrechenden Noth. Aus früherer Zeit erwähnen die Chroniken von grössern Rheinüberschwemmungen und Verheerungen von den Jahren 1343 und 1374, 1511 und 1566, 1618, 1627, 1640 und 1670, und sodann im 18. Jahrhundert von 1740, 1750, 1756, 1758, 1762, 1763, 1764, 1765, 1767, 1768, 1769, 1770, 1772, 1784, 1785, 1793 und 1799. Alle frühern Ueberschwemmungen aber übertraf diejenige von 1817 und seither musste man sich an deren ziemlich regelmässiges Erscheinen im Sommer gewöhnen.
Die Ursachen dieser Erscheinungen sind zwar augenfällig, aber so gewaltiger Natur, dass die Kraft einzelner Gemeinden, ja selbst einzelner Staaten als unzulänglich erscheinen. Jeder Beobachter wird nämlich bald gewahr, dass der Rhein wenig Gefäll hat und an vielen Stellen selbst beim gewöhnlichen Wasserstand höher liegt als das hinterliegende Land, daher in den Rheingemeinden so viel stillliegendes Wasser, dass keinen Abzug in den Rhein mehr hat. Hast du, l. Leser, an geeigneter Stelle, z. B. auf Meldegg in Walzenhausen, den letzten Rheinausbruch beobachtet, so musstest du dich, wolltest du unbefangen urtheilen, fast wundern, dass der gewaltige Strom nicht schon längst, unbekümmert um die schweizerische und österreichische Staatsgrenze, sich ein neues, natürliches Bett von dem Ausflusse der Ill bis in den Bodensee gegraben. Ja, würdest du nicht wissen, dass der graue Rhätier eine Masse von Schlamm und Sand mit sich führt und dadurch seine Kraft lähmen lässt, so müssten dir die unsäglichen Mühen der Rheinanwohner, den Fluss in sein Bett zurückzudrängen, als eine vergebliche Arbeit und als eine Sorge erscheinen, welche eine sicher eintreffende spätere Noth nur vergrössern müsste. Beobachtest du aber den Rhein bei kleinerm Wasserstand seinen Ufern entlang, so findest du künstliche Dämme viel höher als der selbstgewachsene Boden und ihre Anlage der Art, dass es dir klar wird, es fehle von Anfang an ein durchgreifender fester Plan; es mögen wohl schon ungeheure Summen verwendet worden sein, aber zu einem grossen Theile unzweckmässig, und es scheine jede Gemeinde nur die Selbsthülfe, das Abwehren des Stromes von ihrem Gebiet, nicht das Interesse des Ganzen geleitet zu haben, während die Bauten nach einem durchgreifendern Plane österreichischer Seits offenbar das Gelände mehr schützen. Gehst du weiter und weiter flussaufwärts, so erblickst du an den nackten Berghängen und in den Thälern viel lockeres Erdreich und Geschieb, das nur der Gelegenheit harrt, um eine kürzere oder längere Rheinfahrt zu machen und das Rheinbett künstlich aufzufüllen. Fragst du die Geschichte des Rheins, so tritt dir im Allgemeinen entgegen, dass die jeweiligen Betheiligten in der Regel allen Kräften aufboten, um sich vor spätern Gefahren zu schützen, dass aber, wenn alle Anstrengungen fruchtlos gewesen, eine begreifliche Muthlosigkeit eintrat, die sich nur zu viel auf Anderer Hülfe verliess, während die Angesprochenen hinwieder, mit wenigen Ausnahmen, es bei einer momentanen Unterstützung bewenden liessen und nicht ernstlich genug Hand boten, um der Gefahr nachhaltig zu steuern. Man gewahrt in diesem Verfahren das Bild einer beschränkten Armenpflege, die meint, genug zu thun, wenn sie eine arme Familie mit bestimmten Wochengaben unterstützt, unbekümmert, ob die Jungen wieder Bettler werden, wie die Alten. Die Wuhrbeschwerden waren seit uralter Zeit ein Gegenstand der Befehdungen der Gemeinden und Korporationen unter sich, ein Gegenstand des Zankes und Streites und einer Unzahl von sogenannten Rechtstiteln. Zur Zeit als das Rheinthal noch Unterthanenland war, mussten sich die Behörden der regierenden Orte mit der Frage über die Rheinnoth befassen, und schon in den 1760er Jahren gelang der Gegenstand vor die eidg. Tagsatzung. Der vorgenommene Expertenuntersuch hatte eine etwelche Regelung der Wuhrarbeiten und eine hoheitliche Oberleitung zur Folge. Beim Eintritt der helvetischen Staatsumwälzung standen am Rheine die französischen und österreichischen Kriegsheere einander längere Zeit gegenüber und bei diesem Anlasse wurde der vorhin mit Laubholz bewachsene Saum des Landes dieses Schutzes entblösst. Sowohl die Rheinnoth als solche, sowie der Rhein als Grenze, wurden ein Gegenstand der Sorge der helvetischen Einheitsregierung und es unterliessen die betheiligten Rheinthaler begreiflich auch nicht, auf die Wichtigkeit der Sache in beiden Beziehungen aufmerksam zu machen. Die helvetische Regierung erliess Verordnungen und Befehle, um die angrenzenden Gemeinden und den ganzen Kanton Säntis zur Hülfeleistung und zu Beisteuern anzuhalten und gab nicht unbedeutende Beiträge aus der Zentralkasse. Die Rheinthaler aber gingen so weit, dass sie nicht weniger verlangten, als dass die Rheinbeschwerden vom Kanton Säntis oder von ganz Helvetien übernommen werden. Die Regierung des 1803 neuentstandenen Kantons St. Gallen erbte die oberheitliche Sorge über den Rhein und dessen Wuhren, zugleich aber nahm sie noch ungleich mehr in Anspruch die Linthkorrektion, wo die Abhülfe noch dringender war. Das Gesetz über die Auslösung des Trattrechtes und einige in Bezug auf die Rheinüberschwemmungen glückliche Jahre beförderte die Kultur der frühern Allmend oder des Rietbodens. Dadurch wurden zwar grosse Strecken unkultiviertes Land in fruchtbare Wiesen und Felder verwandelt, dem Rheine aber ein grosser Theil seiner Wuhrholzauen und seines frühern Flussgebietes entzogen. Ueberdies mussten fortan die Ausbrüche und Ueberschwemmungen des Rheins weit verderblicher wirken, indem die ufer- und dammeinbrechenden Gewässer jetzt fruchttragende Aecker und Heuwiesen fanden, wo sich früher mit Elben und Felben und andern Wuhrholzarten wohlbesteckte Auen oder nur lange und breite Weidflächen mit unloskäuflichem Tritt- und Trattrecht vorgefunden hatten. Die beispiellose Rheinüberschwemmung von 1817 überstieg noch die grössten obiger Besorgnisse und es wurden sofort die kantonalen und eidg. Behörden um Bei- und Abhülfe angegangen. Gleichzeitig tauchte die Besorgnis auf, es möchte der Rhein im Süden des Kantons seinen Lauf wieder wie vor einigen Jahrhunderten dem Wallensee zu nehmen, die Linthkorrektion zerstören und an den Ufern des Zürichsees und der Limmat grössere Zerstörungen anrichten. Die Wasserscheide bei Sargans hatte nur noch 18 Fuss höher als der Rhein gestanden; Erdschlipfe, wie sie an diesem reissenden Strome nicht selten sind, hätten zur Ausfüllung des Rheinbettes beitragen und sein Gewässer über die Saarebene nach dem Wallensee leiten können. Es entstanden Projekte über die Stromregulirung bei seinem Ausflusse in den Bodensee, wobei man aber in den Grenzverhältnissen auf Hindernisse stiess. Die Kantonalbehörde wurde endlich durch die sich öfter wiederholenden Ueberschwemmungen genöthigt, das gesammte Wuhrwesen unter ihre Oberleitung zu nehmen und sich auch Namens des Staates seit 1832 regelmässig Jahr für Jahr an den Kosten zu betheiligen. Dieses geschah hauptsächlich durch Prämienvertheilung an die heimgesuchtesten, hülfsbedürftigsten und im Wuhren fleissigsten Gemeinden. Baupflichtig waren und blieben die Gemeinden und diese behielten in der Regel, um Baarauslagen zu ersparen, das miserable Frohnwesen bei, das die Anordnungen der Oberleitung nicht selten mehr hinderte als förderte. Seit der Staat über die Wuhrleistungen Rechnungsstellung verlangte, so schien bei manchen Gemeinden die Tendenz zu walten, recht grosse Summen zu zeichnen, wenn selbige mit den wirklichen Leistungen auch in so grossem Widerspruche standen, dass selbst in offiziellen Berichten wiederholt Zweifel in die Richtigkeit der amtlichen Rechnungen gesetzt werden mussten. Dagegen wurden von der Regierung bei der Verwerthung der Arbeit niedere Ansätze gemacht, so dass das Gesammtresultat der Kosten ziemlich richtig sein dürfte. Jedenfalls sind die Lasten der Gemeinden und Korporationen sehr gross und machen erklärlich, warum man seit Jahren auf alle mögliche Weise darnach ringt, Erleichterung dieser Lasten zu erzielen. Eine solche Hoffnung weckte und nährte die neue Bundesverfassung. Der Rhein selbst scheint mit der Klage der betheiligten Gemeindewesen und der Kantonsregierung einverstanden zu sein, dass vereinzelte Kräfte seiner Zerstörungswuth nicht mehr Widerstand zu leisten vermögen, indem er durch wiederholte Ausbrüche und Ueberschwemmungen nicht unterlässt, zu mahnen, man solle ihn doch in einer Zeit, wo alle Verkehrswege geregelt werden, nicht länger mehr sich selbst überlassen.
Wirklich habe sich auch die Bundesbehörden der Rheinnoth angenommen, und schon am 5. August 1853 leistete die Bundeskasse 50’000 Fr. zur Herstellung der zerstörten oder bedrohten Wuhre oder Leitwerke am Rhein. Der Kanton hatte zu gleichem Zwecke eine ebenso grosse Summe zu leisten, von welcher Summe vor dem 19. Juni 1855 bereits 87’465 Fr. 43 Rp. verbraucht wurden und somit für die neuesten Verheerungen nur noch 12’534 Fr. 57 Rp. übrig blieben. Am 8. Hornung 1854 wurde weitere Unterstützung der Rheinkorrektion mit folgendem Bundesbeschluss zugesichert:
«Die Bundesversammlung der schweiz. Eidgenossenschaft,
in Betracht, dass nach Art. 21 der Bundesverfassung die Eidgenossenschaft öffentliche Werke, welche im Interesse der Schweiz oder eines grossen Theiles derselben liegen, auf ihre Kosten errichten, oder deren Errichtung mit Geldbeiträgen unterstützen kann;
in Betracht, dass das beabsichtigte Werk einer vollständigen Rheinkorrektion, für dessen Ausführung die Beihülfe der Eidgenossenschaft nachgesucht worden ist, nothwendig ist, um eine grosse und volkreiche Gegend vor den Verheerungen zu schützen, welche die Gewässer daselbst verursachen; dass dieses Unternehmen die Kräfte des zunächst dabei betheiligten Kantons übersteigt und dass es durch seinen Umfang, durch zu überwindenden Schwierigkeiten und durch die Vortheile, die es dem Lande verspricht, für die Schweiz von Interesse ist und von ihr unterstützt zu werden verdient;
in Betracht, dass das Unternehmen schon durch die Beschaffenheit der Fragen, welche sich an seine Ausführung anknüpfen, mit Nothwendigkeit eine Dazwischenkunft der Bundesbehörde erfordert;
in Betracht indessen, dass die nothwendigen Vereinbarungen mit einem der angrenzenden Staaten noch nicht getroffen worden sind, dass man sich insbesondere noch nicht geeinigt hat, über die Annahme eines Projektes für die Ableitung des Flusses bei seiner Einmündung in den Bodensee; dass demnach gegenwärtig weder die Kosten des Unternehmens bestimmt werden können, noch selbst auf der Grundlage einer vollständigen Korrektion Hand und Werk gelegt werden kann, und dass überdies noch einige Punkte näher geprüft und einige Garantien im Interesse einer schnellen und zweckmässigen Ausführung des Unternehmens gefordert werden müssen, beschliesst:
Art. 1. Die Eidgenossenschaft erklärt sich bereit, in Anwendung des Art. 21 der Bundesverfassung die Korrektion des Rheins zu unterstützen. Indessen wird sie zur Förderung des Unternehmens nur unter der Bedingung Subsidien (Unterstützung von Geld) bewilligen, dass ein Plan für eine möglichst vollständige Flusskorrektion angenommen und genügend Garantien dafür geboten werden, dass die Arbeiten gehörig geleitet und ausgeführt, sowie der Eidgenossenschaft die nöthige Oberaufsicht eingeräumt werde.
Art. 2. Der Bundesrath wird dafür sorgen, dass die Unterhandlungen fortgesetzt werden, um die Annahme eines Korrektionsplanes mit denjenigen näheren Bestimmungen, welche in Folge einer Veränderung der Grenze als nothwendig erscheinen, zu erwirken. Er wird der Bundesversammlung neue Anträge hinterbringen und denselben diejenigen Vorlagen beifügen, welche nothwendig sind, um das Mass, in welchem sich die Eidgenossenschaft an dem Unternehmen betheiligen soll, näher zu bestimmen.
Art. 3. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung des gegenwärtigen Beschlusses beauftragt.»
Die Betheiligung des Bundes setzte eine Betheiligung des Kantons St. Gallen voraus und dieser schuf ein Gelegenheitsgesetz, dass namentlich die hinterliegenden rheinthalischen Gemeinden für Betheiligung an den Rheinkorrektionskosten mehr in Mitleidenschaft zog, als dieselben freiwillig thun wollten. Das an die Bundesversammlung von 1855 gestellte Gesuch von St. Gallen aber, der allgemeinen Korrektion vorgängig, abermals einen Unterstützungsbeitrag von etwa 100’000 Fr. aus der Bundeskasse zu bewilligen, wurde abgewiesen, weil der Bund sich nicht mehr zu einer blossen momentanen Unterstützung herbeilassen könne und seine Betheiligung an der durchgreifenden Korrektion, als einem bleibenden Werke, bereits ausgesprochen habe. Es wird daher der Bundesrath die bisher erfolglosen Verhandlungen mit der Staatsregierung von Oesterreich über die projektirte Korrektion auf dortseitigem Staatsgebiet mit Eifer fortsetzen. Der Korrektionsplan, der schweizerischer Seits bisher am meisten Beifall fand, will nämlich den Rhein in einem Kanal von Brugg (gegenüber St. Margrethen) gegen Fussach direkte dem Bodensee zuführen, mit einem Gefäll von 12 Prozent. Von diesem vermehrten Gefäll wird gehofft, dass der Rhein sein Bett selbst säubere und das Geschiebe in die Untiefen des Bodensees, statt auf die Felder des Rheinthals ablagere. Weil aber mit dieser Korrektion die österreichischen Ortschaften Brugg, Fussach, Höchst und Geissau mit einer Landfläche von zirka 6500 Juchart auf das linke Rheinufer fallen würden, so hat Oesterreich über die Genehmigung und Ausführung dieser Korrektion begreiflich mitzureden. Später dürften ebenfalls Versuche über eine etwelche Tieferlegung des Bodensees durch eine entsprechende Korrektion seines Ausflusses bei Konstanz gemacht werden, indem es Thatsache ist, dass seit einem Jahrhundert die Höhe des Wasserstandes vom Bodensee sich vermehrt und sein Abfluss bei Konstanz durch verschiedene Wasserwerke und Wuhren verengt worden ist.
Ueber den Nutzen der Rheinkorrektion sagt ein Sachverständiger Folgendes: Die dem Flussbett durch Einschränkung abzugewinnende Fläche beträgt zirka 500 Juchart. Schätzt man diesen zum Holzwuchs bestimmten Boden pr. Juchart bloss zu 300 Fr., so ergiebt sich ein Gewinn von 150’000 Fr. Von 40’000 Juchart, welche unter dem Einfluss der Sümpfe und Giessen unmittelbar leiden, sind über 10’000 Juchart, die vermöge ihrer Ertragsfähigkeit nicht auf 400 Fr. pr. Juchart geschätzt und um diesen Preis auch nicht verkauft werden könnten. Nehme man den bescheidenen Ansatz an, dass dieser Boden durch völlige Entwässerung in seinem Werthe nur verdoppelt werde, so entfalle eine Summe Gewinnes von 4 Millionen Franken; nehme man von den übrigen 30’000 Juchart an, dass sie nur um die Hälfte oder 1/4, also ungefähr um 100 Fr. durchschnittlich pr. Juchart verbessert werden, so entfalle eine neue Summer von 3 Millionen Franken. Es handle sich also um einen Gewinn von mehr als 7 Millionen Franken an Bodenverbesserung. Der übrige Gewinn, dass eine Bevölkerung von nahe 30’000 Menschen von Gefahren und Drangsal erklärt und dem Kanton erhalten, die Grenze gesichert und ein ganz neues Leben in ökonomischer und gesellschaftlicher Beziehung geschaffen werde, lasse sich an Geld nicht anschlagen.
Zum Schlusse verdient noch spezielle Erwähnung, welch’ ungeheure Opfer die betheiligten Gemeinden im Rheinthal für Wuhrbauten geleistet haben und was der Staat beigetragen. In den Jahren von 1832 – 1837 erstieg die Gesammtsumme der Gemeindeleistungen 354’514 f. 12 fr.; gleichzeitig leistete der Staat an Wuhrprämien 836 fl. 30 fr. und an Oberleitungs- und Aufsichtskosten 3342 fl. 15 fr.
Die 14 Jahresrechnungen von 1838 – 1854 ergeben für jede Gemeinde an Wuhrausgaben nachstehendes Resultat. Zur leichtern Uebersicht der Leistungen werden bei jeder Gemeinde auch das jährliche Durchschnittsverhältnis der Wuhrausgaben, die Einwohnerzahl und der Betrag des steuerbaren Vermögens angegeben.
Erfasst am Samstag, 4. September 2021 | Kommentare deaktiviert für Die Rheinnot